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Beitrag von Janine Sterner und Thomas Altgeld

„Gesundheit für alle“ in Niedersachsen & Bremen — 120 Jahre LVG & AFS

Die Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen e.V. (LVG & AFS) feiert in diesem Jahr ihr 120-jähriges Bestehen. Die Geschäftsführenden Janine Sterner und Thomas Altgeld berichten über das langjährige Engagement der ältesten deutschen Landesvereinigung für gesundheitliche Chancengleichheit.

Porträt Janine Sterner, stellv. Geschäftsführerin, und Thomas Altgeld, Geschäftsführer, Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen e.V. (LVG & AFS)
© LVG & AFS Nds. HB e.V.

 

Niedersachsen ist ein Flächenland, das einschließlich der Region Hannover in 38 Landkreise und acht kreisfreie Städte aufgeteilt ist. Hier leben - von der Nordseeküste bis zum Harz - über acht Millionen Menschen leben. Während die großen Städte wie Hannover, Braunschweig, Oldenburg oder Osnabrück über eine dichte Versorgungsstruktur verfügen, stellt die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum eine besondere Herausforderung dar.

Bremen ist das kleinste Bundesland Deutschlands. Es besteht aus den Städten Bremen und Bremerhaven, in denen rund 680.000 Menschen leben. Die Gesundheitsversorgung ist hier stark städtisch geprägt, gleichzeitig weisen viele Quartiere erhebliche soziale Unterschiede auf. Besonders in sozial benachteiligten Stadtteilen besteht ein hoher Bedarf an niedrigschwelligen, quartiersnahen Strukturen, die Versorgungslücken schließen und die Gesundheit direkt im Alltag der Menschen fördern.

Die LVG & AFS ist die älteste Landesvereinigung für Gesundheit in Deutschland - wir feiern in diesem Jahr unser 120-jähriges Vereinsjubiläum! Das ist nicht nur ein Anlass, auf das Erreichte zurückzublicken, sondern auch nach vorn zu schauen. Gesundheitliche Chancengleichheit war bereits bei der Vereinsgründung 1905 zentrales Ziel, auch wenn man das damals noch nicht so nannte. Die „Gesundheit für alle“ in den Blick zu nehmen bleibt - leider - auch 2025 eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung.


Die Kommune als zentrales Setting zur Gestaltung von Gesundheit

Seit vielen Jahren ist die Kommune ein wesentliches Handlungsfeld unserer Arbeit zur Stärkung von Gesundheitsförderung, aber auch Gesundheitsversorgung und Pflege.

Mit den „Gesundheitsregionen Niedersachsen“ begleiten wir im Auftrag der niedersächsischen Landesregierung seit 2014 den Aufbau regionaler Netzwerke und Steuerungsstrukturen zur Sicherstellung der Versorgung und Etablierung gesundheitsfördernder Maßnahmen. Begonnen mit drei Landkreisen im Jahr 2011 , sind heute 37 Landkreise und kreisfreie Städte aktiv dabei. Beteiligt sind auch die gesetzlichen Krankenkassen und die Ärzteschaft. Vor Ort erarbeiten sie gemeinsam mit der Landkreisverwaltung, den ambulanten und stationären Versorgungsstrukturen, Wohlfahrtsverbänden sowie Bürgerinnen und Bürgern effektive Lösungen für die jeweilige Region. Die Gesundheitsregionen sind somit ein Motor für die sektorenübergreifende Zusammenarbeit in Kommunen.

Auch das Förderprogramm “Präventionsketten Niedersachsen“ unterstützt den Aufbau integrierter kommunaler Strategien zur Gesundheitsförderung und Prävention - und auch hier ist Vernetzung der Schlüssel: Kommunen, Land, Krankenkassen, Jugendhilfe, Schulen, Kitas, soziale Träger, Gesundheitsakteurinnen und -aktuere arbeiten Hand in Hand. Im Mittelpunkt steht ein gesundes Aufwachsen für alle Kinder - unabhängig von ihrer sozialen Herkunft - durch eine enge Zusammenarbeit von Verwaltung, Politik und lokalen Einrichtungen. Zwischen 2016 und 2024 haben mit Finanzierung der Auridis Stiftung 22 Kommunen entsprechende Strategien entwickelt. Seit 2025 läuft eine neue Programmphase für bis zu 18 Aufbau- und Ausbaukommunen, gefördert durch das GKV-Bündnis für Gesundheit. Die in Niedersachsen entwickelten Handlungskonzepte und Prozessschritte sind zentraler Baustein der bundesweiten Vernetzung in diesem Bereich und fließen in Qualifizierung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus anderen Bundesländern sowie aus Österreich ein.

Mit dem Projekt „Komm.Care“ wiederum begleiten und beraten wir zu einer vorausschauenden kommunalen Pflegeplanung. Unser Ziel ist es, Landkreise und kreisfreie Städte dabei zu unterstützen, Pflegebedarfe frühzeitig zu erkennen und Strukturen besser miteinander zu verzahnen. Gerade angesichts des steigenden Fachkräftemangels ist eine enge Zusammenarbeit und der Einsatz innovativer Lösungen unerlässlich.

In Bremen setzen wir auf quartiersbezogene, zugehende Arbeit. Die „Gesundheitsfachkräfte im Quartier“ (GiQs) wurden während der Corona-Pandemie etabliert und inzwischen erfolgreich verstetigt. Sie sind in aktuell 14 benachteiligten Stadtteilen in Bremen und vier in Bremerhaven tätig, unterstützen bei Fragen zur Gesundheitsversorgung, vernetzen lokale Angebote und gestalten eigene Angebote zur Gesundheitsförderung und Prävention.

Darüber hinaus koordinieren wir die „Gesundheitsfachkräfte an Schulen“ (GefaS). Sie wurden zunächst ab 2018 als Modell erprobt und sind seit 2021 im Öffentlichen Gesundheitsdienst fest etabliert. Heute sind sie an 24 Grundschulen in Bremen und 4 in Bremerhaven tätig.

Mit drei modellhaften „GesundheitsPunkten“ erproben wir in Bremen zudem seit 2022 feste Anlaufstellen für Bewohnende in Stadtteilen mit besonderen Unterstützungsbedarfen, zunächst in Grohn und Huchting sowie ab Herbst 2025 auch in Kattenturm. Die „GesundheitsPunkte“ sind Anlaufstellen im Quartier, bündeln Beratung, bieten Lotsenfunktionen und schließen Lücken zwischen Prävention, Gesundheitsförderung und Versorgung - eng verzahnt mit den bestehenden Stadtteilnetzwerken.


Psychische Gesundheit

Die Förderung der psychischen Gesundheit ist aktuell in Niedersachsen und Bremen ein Thema, das viele Akteurinnen und Akteure und auch uns umtreibt. Mit der “Landesstelle Psychiatriekoordination Niedersachsen“ haben wir seit 2020 eine landesweite Plattform für Austausch, Transparenz und Vernetzung der psychiatrischen Versorgung etabliert, die aus den Empfehlungen des Landespsychiatrieplans entstanden ist. Sie bündelt Informationen, vernetzt und stärkt die partizipative Weiterentwicklung der Versorgungslandschaft.

In Bremen sind die „Regionalen Fachkräften für psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen“ tätig: Sie fördern die Vernetzung lokaler Akteurinnen und Akteure, beraten Einrichtungen, führen Workshops in Quartieren und Schulen durch und entwickeln weitere Projekte, um die seelische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Stadtteilen mit besonderem Unterstützungsbedarf zu fördern. Darüber hinaus setzen wir Programme in Bildungs- und Lebenswelten um: Mit „Verrückt? Na und! Seelisch fit in der Schule“ enttabuisieren wir psychische Belastungen. Das Elternprogramm „Schatzsuche“ fördert die seelische Gesundheit von Kindern im Kita-Alter. Mit dem Projekt „Gesunder Umgang mit Medien“ sensibilisieren wir Kinder, Jugendliche, Eltern und Fachkräfte in Bremen und Bremerhaven für die Chancen und Risiken digitaler Medien und stärken dabei sowohl die Medienkompetenz als auch die Gesundheitskompetenz.


Querschnittsthema seit 2020: Klima und Gesundheit

Seit 2020 ist „Klima und Gesundheit“ ein Querschnittsthema unserer Arbeit. Wir machen Auswirkungen sichtbar und zeigen Handlungsoptionen in Veranstaltungen, Netzwerken, Publikationen und in unserem Newsletter „Gesundheit in der Klimakrise“ auf. Inzwischen haben wir mehrere Projekte, in denen aktiv an diesem Thema gearbeitet wird. Dazu zählen unter anderem „kogeki - Kita, Klima und Gesundheit“, „Wohl.Fühlen - Klima und Gesundheit“ sowie das Verbundprojekt „LifeGRID“: In der Modellregion Landkreis Wesermarsch wird ein integriertes Konzept erprobt, um besonders vulnerable, vor allem pflegebedürftige Menschen in flut- und energiekritischen Lagen zu retten und zu versorgen. Wir kooperieren hier mit dem Landkreis, der Jade Hochschule und dem Deutschen Roten Kreuz (DRK). Dabei sollen Bevölkerung, Pflegeeinrichtungen und Katastrophenschutz aktiv eingebunden und in ihrer Resilienz gestärkt werden.

Ein weiteres Verbundprojekt ist die „InnovationsCommunity Urban Health (ICUH)“: Das Ziel besteht darin, gesunde und gerechte Lebensverhältnisse in Städten zu schaffen, Umweltgerechtigkeit zu stärken und praxisnahe Lösungen unter anderem zur Hitzeanpassung in Bremen/Bremerhaven und im Ruhrgebiet zu erproben.


Landesrahmenvereinbarungen & Koordinierungsstellen für Gesundheitliche Chancengerechtigkeit

Die Landesrahmenvereinbarungen in Niedersachsen und Bremen wurden im Oktober 2016 und Dezember 2016 mit klar ausgearbeiteten Steuerungsgremien und Weiterentwicklungsforen auf Landesebene geschlossen. Niedersachsen hatte bereits seit 1998 mit dem Arbeitskreis „Armut und Gesundheit“ Vernetzungsstrukturen für gesundheitliche Chancengleichheit, die das Vorbild für die Einrichtung der Koordinierungsstellen für Gesundheitliche Chancengleichheit lieferten. In beiden Bundesländern stellen die Koordinierungsstelle besonders vulnerabilisierte Dialoggruppen und Lebenswelten in den Fokus.


Vernetzung und Zusammenarbeit als Grundlage für wirksame Arbeit

Unsere Arbeit lebt von starken Partnerschaften auf kommunaler und Landesebene. Im Vorstand der LVG & AFS sind die Spitzen wesentlicher Einrichtungen aus Niedersachsen und Bremen vertreten - darunter die gesetzlichen Krankenkassen, mehrere Kammern, die Kassenärztliche Vereinigung und die Rentenversicherung. Diese enge Zusammenarbeit bildet die Basis, um gemeinsam Strategien zu entwickeln, Projekte umzusetzen und konkrete Rahmenbedingungen für Gesundheit in beiden Ländern aktiv mitzugestalten. Auf kommunaler Ebene arbeiten wir eng mit Landkreisen, Städten, dem Öffentlichen Gesundheitsdienst, Trägern aus den Bereichen Bildung, Jugendhilfe und Sozialwesen sowie zahlreichen zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren zusammen. Darüber hinaus suchen wir im Sinne von Health in All Policies immer wieder proaktiv den Kontakt zu anderen Fachbereichen. Auf Bundesebene bringen wir uns unter anderem über die BVPG ein - nicht zuletzt durch die dortige Vorstandsarbeit von Thomas Altgeld. So stellen wir sicher, dass Erfahrungen und Expertise aus Niedersachsen und Bremen auch in die bundesweite Diskussion einfließen und nachhaltige Veränderungen ermöglichen.


Unsere Wünsche für die Zukunft

Mit Blick auf die Gegenwart und Zukunft wünschen wir uns drei Punkte:

  1. Von der Projektlogik zu dauerhaften Strukturen. Modellprojekte eignen sich gut, um neue, innovative Ansätze zu erproben. Jedoch krankt das aktuelle Fördersystem an den kurzen Laufzeiten von Projekten. Strukturveränderungen in allen Settings brauchen Zeit und eine gesicherte Finanzierung, damit gute Praxis nach dem Förderende nicht zur Leuchtturmruine wird. Es braucht außerdem mehr Strategien und Finanzierungsmöglichkeiten, um erfolgreiche Modell-Ansätze in die Fläche zu tragen.

  2. Gesundheit neu rahmen - weg von der Medikalisierung der Prävention. Wir beobachten mit Sorge einen Trend zur Medikalisierung von Prävention - eine Entwicklung, die 40 Jahre nach der Ottawa-Charta einen Schritt zurück bedeuten würde. Prävention ist mehr als individuelle Verhaltensänderung oder pharmazeutisch und technologisch unterstützte Selbstoptimierung. Um wirksame, gesellschaftliche Veränderungen und gesundheitliche Chancengerechtigkeit zu erreichen, müssen wir Rahmenbedingungen und Lebenswelten gesundheitsförderlich gestalten sowie Ressourcen, Partizipation und Gesundheitskompetenz stärken!

  3. Mehr „Health in All Policies“ - klare gesetzliche Leitplanken. Damit Gesundheit tatsächlich in allen Politikfeldern berücksichtigt wird, brauchen wir verbindliche Rahmen auf Ebene der Gesetzgebung. Dazu zählen aus unserer Sicht beispielsweise Gesundheitsfolgenabschätzungen für Gesetzesvorhaben, aber auch Maßnahmen wie eine höhere Besteuerung von Alkohol, Werbeverbote für ungesunde Lebensmittel oder ein Tempolimit auf Autobahnen. Erfahrungen im internationalen Raum haben gezeigt, dass solche gesetzlichen Weichenstellungen effektiv sind und bevölkerungsweit wirken - genau dort, wo Prävention am stärksten ist: bei den Verhältnissen.

Wir sind stolz, die älteste Landesvereinigung in Deutschland zu sein - und zugleich hochmotiviert, auch die Zukunft weiter zu gestalten - kommunal, landesweit und bundesweit. Unser Anspruch bleibt: Gesundheitliche Chancengerechtigkeit als Leitlinie, Dialoggruppen in benachteiligten Lagen im Fokus, Kommunen als Motor - und Netzwerke, die aus Projekten Strukturen machen! Die BVPG ist dabei eine wichtige Partnerin im bundesweiten Diskurs um Prävention und Gesundheitsförderung. Sie schafft Räume für den Austausch, Vernetzung und gemeinsame Positionierung auf Bundesebene.


Zugleich ist klar: Die kommenden Jahre werden entscheidend sein, um Prävention und Gesundheitsförderung auch gesetzlich und strukturell weiter zu verankern - etwa durch eine Novellierung des Präventionsgesetzes und eine konsequente Ausrichtung auf gesundheitliche Chancengerechtigkeit. Das gelingt nur gemeinsam: mit der BVPG, den Landesvereinigungen und ihren Mitgliedsorganisationen, die alle auf ihre Weise daran arbeiten, gute Praxis und politische Rahmenbedingungen zusammenzubringen.


Janine Sterner| Seit Mai 2024 stellvertretende Geschäftsführerin der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen e.V. (LVG & AFS) , zuvor seit 2016 Referentin der Geschäftsführung; davor Projektmanagerin im Bereich Gesundheit und Wissenschaft in der Robert Bosch Stiftung. Sozial- und Kulturwissenschaftlerin. Inhaltliche Arbeitsschwerpunkte: Stärkung der ressortübergreifenden Zusammenarbeit im Sinne von Health in All Policies, insbesondere in Themenfeldern Klima, Gesundheit und Stadtentwicklung; Storytelling und Öffentlichkeitsarbeit in der Gesundheitsförderung und Prävention.

Thomas Altgeld | Seit 1993 Geschäftsführer der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen e.V. (LVG & AFS) Arbeitsschwerpunkte: systemische Organisationsentwicklung und -beratung, gesundheitliche Chancengleichheit und Männergesundheit, Diplompsychologe.



Logo der Landesvereinigung für Gesundheitsförderung in Schleswig-Holstein e.V. (LVGFSH)
© LVG & AFS Nds. HB e.V.
Geschäftsführung: Thomas Altgeld, Geschäftsführer, und Janine Sterner, stellv. Geschäftsführerin
Gründung: 1905
Schwerpunktthemen: (Fast) die ganze Bandbreite der lebensweltorientierten Gesundheitsförderung und Prävention sowie die Sicherstellung einer demografiefesten Gesundheitsversorgung und Pflege vor Ort
Anzahl Mitarbeitende: Knapp 135 inkl. Studentischen Mitarbeitenden
Anzahl Mitglieder: 82
Organisationsstruktur: Eingetragener Verein (e.V.)
Finanzierung: Institutionelle Förderung sowie projektgebundene Zuwendungen des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung und der Bremer Senatorischen Behörde für Gesundheit, projektgebundene Zuwendungen weiterer Ministerien auf Landes- und Bundesebene, Projektförderungen von gesetzlichen Krankenkassen und Stiftungen, Mitgliedsbeiträge, Teilnahmegebühren und Spenden

In 13 Bundesländern gibt es Landesvereinigungen bzw. Landeszentralen für Gesundheit(sförderung), die über die BVPG auf Bundesebene vertreten werden. Jährlich finden zwei Kooperationstreffen mit den Landesvereinigungen und der BVPG statt.