Interview mit Dr. Beate Grossmann
„Die BVPG - eine zentrale Instanz im deutschen Gesundheitswesen“
Dr. Beate Grossmann, Geschäftsführerin der BVPG, tritt Mitte September in den Ruhestand. Seit 39 Jahren war sie in verschiedenen Positionen des Dachverbands tätig. Im Interview spricht sie über gelungene Netzwerke, wirksame Strukturverbesserungen und vorausschauendes Agenda Setting - stets mit dem Ziel, Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland nachhaltig zu stärken.
Welche Meilensteine und Erfolge haben die Arbeit der BVPG in den letzten vier Jahrzehnten geprägt, insbesondere in den letzten 10 Jahren? Was war Ihr Beitrag dazu?
Wenn ich auf fast vier Jahrzehnte in der Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e. V. (BVPG) zurückblicke, erfüllt mich das mit großer Dankbarkeit und auch mit Stolz. Die BVPG hat sich in dieser Zeit zu einem anerkannten, fachlich profilierten und politisch geschätzten Dachverband entwickelt - und ich bin dankbar, dass ich diese Entwicklung über all die Jahre mitgestalten konnte.
Gerade in den vergangenen zehn Jahren haben wir zentrale Meilensteine erreicht: Die Etablierung der BVPG-Statuskonferenzen als Plattform für den interdisziplinären Austausch, unsere intensive Mitarbeit an der Ausgestaltung und Weiterentwicklung des Präventionsgesetzes sowie die engere Vernetzung mit den Landesvereinigungen für Gesundheitsförderung sind nur einige Beispiele. Diese Erfolge wären ohne die enge Zusammenarbeit mit unserem Vorstand, der mit Weitsicht wichtige Impulse gegeben und die Rahmenbedingungen für unsere Arbeit gestärkt hat, und ohne das Engagement unserer Mitglieder, die mit ihrer Expertise, Praxisnähe und vielfältigen Perspektiven unsere Arbeit tragen, nicht möglich gewesen. Mein Beitrag bestand darin, diese Prozesse strategisch zu begleiten, fachlich zu strukturieren und die unterschiedlichen Perspektiven unserer über 130 Mitgliedsorganisationen in gemeinsame, tragfähige Positionen zu überführen.
Ein besonderes Anliegen war es mir stets, vorausschauend zu arbeiten: gesellschaftliche Entwicklungen frühzeitig aufzugreifen und politische Diskurse mitzugestalten. Das jüngste Beispiel dafür ist unser Positionspapier zur 21. Legislaturperiode. In engem Austausch mit unseren Mitgliedsorganisationen haben wir darin zentrale Handlungsempfehlungen zu Themen wie Bewegungsförderung, gesundheitliche Chancengerechtigkeit, psychische Gesundheit und den gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels formuliert.
Greifen wir das Positionspapier doch direkt einmal auf. Welche Handlungsempfehlungen gibt die BVPG den politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern für die neue Amtszeit mit auf den Weg?
In unserem im Januar 2025 veröffentlichten Policy Paper formulieren wir, wie bereits angedeutet, zentrale Empfehlungen für die Weiterentwicklung von Prävention und Gesundheitsförderung in der 21. Legislaturperiode. Im Mittelpunkt stehen dabei die Querschnittsthemen gesundheitliche Chancengleichheit, Bewegung, Klimawandel und psychische Gesundheit. Wir setzen uns dafür ein, dass Prävention und Gesundheitsförderung als gesamtgesellschaftliche Aufgaben verstanden und systematisch in Politik, Verwaltung und Gesellschaft verankert werden. Grundlage dafür sind sektorübergreifende Zusammenarbeit und ein konsequent evidenzbasiertes Vorgehen.
Ein zentrales Anliegen ist für uns die Umsetzung des Konzepts „Health in and for All Policies“ - also die Integration gesundheitlicher Perspektiven in alle politischen Entscheidungsprozesse. Mit Gesundheitsfolgenabschätzungen sollen Chancen und Risiken frühzeitig in verschiedenen Politikfeldern, insbesondere auch außerhalb des Gesundheitswesens (z. B. Stadtplanung, Verkehr, Bildung) erkannt und abgewogen werden, um präventives Handeln zu ermöglichen.
Um gesundheitliche Chancengleichheit zu stärken, fordern wir den gezielten Abbau sozialer Ungleichheiten. Wir setzen uns insbesondere dafür ein, gesundheitskompetente Strukturen in benachteiligten Bevölkerungsgruppen aufzubauen und bestehende kommunale Strategien besser miteinander zu verzahnen.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt für uns auf der Bewegungsförderung. Wir schlagen die Entwicklung einer nationalen Agenda vor und fordern ein zentrales Kompetenzzentrum, das Maßnahmen zur Bewegungsförderung koordiniert, weiterentwickelt und evaluiert.
Angesichts der zunehmenden Gesundheitsgefahren durch den Klimawandel plädieren wir für eine verstärkte interdisziplinäre Forschung, ein systematisches Monitoring sowie konkrete Anpassungsmaßnahmen wie kommunale Hitzeschutzpläne. Auch nachhaltiges Bauen sollte gesundheitsförderlich gestaltet werden.
Im Bereich der psychischen Gesundheit fordern wir den Ausbau der Mental Health Surveillance und eine dauerhafte institutionelle Zuständigkeit auf Bundesebene. So können psychische Belastungen frühzeitig erkannt und wirksam adressiert werden.
Für die Qualitätssicherung und Wirksamkeit präventiver und gesundheitsfördernder Maßnahmen setzen wir uns für eine verlässliche Finanzierung evidenzbasierter Praxis ein. Wir fordern mehr Forschungsförderung sowie Langzeitstudien zur kontinuierlichen Evaluation. Darüber hinaus sehen wir eine stärkere sektorenübergreifende Zusammenarbeit als essenziell an. Gesundheitsförderung muss in allen Lebensbereichen verankert und durch gesundheitskompetente Strukturen gestärkt werden.
Nicht zuletzt sprechen wir uns für eine wissenschaftlich fundierte Fortschreibung des Präventionsgesetzes aus. Dabei ist es uns wichtig, dass ressortübergreifend gedacht und gehandelt und wissenschaftlicher Sachverstand systematisch einbezogen wird. Mit diesen Empfehlungen wenden wir uns insbesondere an politische Entscheidungsträgerinnen und -träger. Unser Ziel ist eine Gesundheitspolitik, die soziale Ungleichheiten, klimabedingte Gesundheitsrisiken sowie psychische Belastungen und Bewegungsmangel insbesondere durch verhältnispräventive Ansätze wirksam adressiert - fundiert, nachhaltig und am Gemeinwohl orientiert.
Stichwort „langfristige strukturelle Verbesserungen“: In welchen Bereichen konnten denn in den vergangenen Jahren strukturelle Verbesserungen im Feld der Prävention und Gesundheitsförderung erzielt werden?
Insbesondere mit dem Präventionsgesetz (PrävG) von 2015 wurden in Deutschland wichtige Grundlagen geschaffen, um Gesundheitsförderung und Prävention strukturell, finanziell und qualitativ zu stärken. Es entstand eine nachhaltige Architektur, die die Zusammenarbeit verschiedener Akteure verbessert und zielgerichtetes, koordiniertes Handeln ermöglicht. Im Zentrum steht die nationale Präventionsstrategie, die von der Nationalen Präventionskonferenz (NPK) entwickelt, umgesetzt und fortgeschrieben wird.
In der NPK wirken Sozialversicherungsträger, Bund, Länder, Kommunen, Sozialpartner, Patientenvertretungen und zivilgesellschaftliche Organisationen zusammen. Die von der NPK erarbeiteten bundeseinheitlichen Rahmenempfehlungen legen gemeinsame Ziele, Handlungsfelder und Zielgruppen fest und sorgen für Transparenz und Verbindlichkeit durch regelmäßige Berichterstattung. Ein zentrales Umsetzungsinstrument bildet das GKV-Bündnis für Gesundheit, das Maßnahmen in verschiedenen Lebenswelten - wie Kitas, Schulen, Betrieben und Kommunen - fördert und strukturell absichert.
Also alles in bester Ordnung?
Natürlich sehen wir eindeutig Weiterentwicklungsbedarf. Vor allem auf kommunaler Ebene fehlt es häufig an langfristig gesicherten Ressourcen, um erfolgreiche Projekte dauerhaft zu verankern. Verlässliche, planbare Strukturen sind jedoch Voraussetzung für wirksame Prävention. Wir fordern daher eine umfassende und nachhaltige Finanzierung sowie die verbindliche Einbindung aller relevanten Partner - auch unter finanziellen Gesichtspunkten, wie es der Bundesrat empfiehlt.
Darüber hinaus braucht es eine noch deutlich stärkere Ausrichtung auf verhältnispräventive Maßnahmen. Es reicht nicht, Menschen zu gesundem Verhalten zu motivieren - wir müssen die Lebensbedingungen so gestalten, dass die Bewahrung und Förderung von Gesundheit möglich sind. Unsere langjährige Erfahrung in der lebensweltbezogenen Präventionsarbeit zeigt, dass Setting-Ansätze ein großes Potenzial besitzen, soziale und geschlechtsbezogene Benachteiligungen abzubauen. Solche Maßnahmen sollten ebenso gestärkt werden wie niedrigschwellige Angebote, insbesondere in sozial benachteiligten Lebenswelten. Individualpräventive Maßnahmen können diese dann sinnvoll ergänzen.
Für alle Leistungen gilt aus unserer Sicht: Sie müssen langfristig angelegt, evidenzbasiert, qualitätsgesichert und an den tatsächlichen Bedarfen der Menschen orientiert sein. Sie sollen Menschen in ihren Ressourcen stärken und ihnen ermöglichen, selbstbestimmt und gesund zu leben. Dafür braucht es kontinuierliches Monitoring und eine flexible Weiterentwicklung der Maßnahmen. Nicht zuletzt möchten wir darauf hinweisen, dass das bisherige Präventionsgesetz aus bestimmten Gründen vor allem die Sozialversicherungsträger in die Verantwortung nimmt. Für eine gesamtgesellschaftlich wirksame Prävention braucht es jedoch einen gesetzlichen Rahmen, der auch Länder und Kommunen strukturell und finanziell einbindet. Ein solches Gesetz müsste auf einer erweiterten Gesetzgebungskompetenz des Bundes basieren.
Insgesamt zeigt sich: Das Präventionsgesetz war ein bedeutender erster Schritt. Jetzt gilt es, die aufgebauten Strukturen zu stärken, Beteiligung breiter zu denken und Prävention dauerhaft als gemeinsame Aufgabe aller gesellschaftlichen Akteure wirksam zu gestalten. Und notabene: Um Gesundheit umfassend zu fördern, braucht es mehr als ein novelliertes Präventionsgesetz. Neben der ja bereits von mir genannten und auch in unserem Policy Paper empfohlenen Gesundheitsfolgenabschätzung bedarf es weiterer regulatorischer Maßnahmen, um Verhältnisprävention gezielt zu stärken, so zum Beispiel eines Alkoholwerbeverbots oder einer Steuer auf adipogene Lebensmittel.
Die BVPG ist durch das Präventionsforum ja direkt in die Umsetzung des Präventionsgesetzes eingebunden. Welche Entwicklungen sind besonders prägend im Rückblick auf zehn Jahre Präventionsforum?
Das Präventionsforum hat die nationale Präventionsstrategie in den letzten zehn Jahren wesentlich mitgestaltet und weiterentwickelt. Besonders prägend ist die jährliche Themenschwerpunktsetzung, bei der gesellschaftlich relevante Fragestellungen - wie aktuell etwa „Klimawandel und Gesundheit“ - im Mittelpunkt stehen. Diese Themen werden mit Fachleuten aus Wissenschaft, Praxis und Politik diskutiert. Die Ergebnisse des Forums fließen direkt in die Fortschreibung der Bundesrahmenempfehlungen ein und wirken damit in die nationale Präventionsstrategie hinein.
Darüber hinaus fördert das Präventionsforum die Zusammenarbeit zwischen den Sozialversicherungsträgern, den Ländern, den Kommunen sowie weiteren relevanten Akteuren. Es bietet einen Rahmen, um gemeinsame Ziele zu definieren, die Koordination der Maßnahmen zu verbessern und Synergien zu nutzen. Besonders hervorzuheben ist, dass das Forum gezielt Impulse setzt, um die Gesundheitschancen vulnerabler Gruppen zu stärken - zum Beispiel Kinder psychisch erkrankter Eltern oder pflegende Angehörige.
Gleichzeitig wird deutlich, dass das Potenzial des Präventionsforums nicht vollständig ausgeschöpft wird. Es mangelt an einer dauerhaften Arbeitsstruktur sowie an einer eigenständigen, proaktiven Themenfindung. Für die Zukunft wäre es wünschenswert, das Format weiterzuentwickeln, um seine Wirkung noch gezielter entfalten zu können. Zudem setzen wir uns dafür ein, die Zivilgesellschaft stärker in die Strukturen der nationalen Präventionspolitik einzubinden. Als Dachverband zivilgesellschaftlicher Organisationen möchten wir die BVPG als beratendes Mitglied in die NPK einbringen. Auch das Präventionsforum sollte weiterentwickelt und zu einer kontinuierlichen Arbeitsstruktur ausgebaut werden, um den „Health in All Policies“-Ansatz dauerhaft zu verankern.
Ich möchte nun die von Ihnen eingangs erwähnten BVPG-Statuskonferenzen aufgreifen. Wie ist es zu dieser Veranstaltungsreihe gekommen und warum kommt den BVPG-Statuskonferenzen so eine hohe Bedeutung im Handlungsfeld zu? Gibt es eine Konferenz, die Ihnen besonders nachhaltig in Erinnerung geblieben ist?
Die BVPG-Statuskonferenzen haben sich seit ihrer Einführung im Jahr 2010 zu einem zentralen Forum für Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland entwickelt. Ihren Ursprung haben sie in den Strukturen und Aufgaben des Deutschen Forums Prävention und Gesundheitsförderung (DFPG). Das DFPG wurde am 11. Juli 2002 in Berlin gegründet und versammelte Gründungsmitglieder aus Bund, Krankenkassen, Ärzteschaft und weiteren Akteuren, um Prävention als vierte Säule des Gesundheitswesens zu etablieren - und es verstand sich als Koordinierungs- und Vernetzungsplattform, auf der übergreifende Ziele, Maßnahmen und Qualitätsstandards in der Präventionsarbeit erarbeitet wurden. Nach dem Zusammenschluss der damaligen Bundesvereinigung für Gesundheit (BfGe) mit dem DFPG zur heutigen Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e. V. (BVPG) im Jahr 2007 wurden diese Aufgaben und Arbeitsformen übernommen und systematisch weiterentwickelt.
Mit dem Start der Statuskonferenzen im Jahr 2010 setzte die BVPG ihre satzungsgemäße Aufgabe um, staatliche und nichtstaatliche Organisationen im Bereich der Gesundheitsförderung besser zu vernetzen, Ressourcen zu bündeln und gemeinsame Strategien zu entwickeln. Die Statuskonferenzen schaffen seitdem Transparenz über den Umsetzungsstand von Präventionszielen, fördern den Austausch unter Akteuren und setzen thematische Schwerpunkte. Im Laufe der Jahre hat sich das Format kontinuierlich weiterentwickelt: Anfangs mit 30 bis 50 Teilnehmenden gestartet, zählen die Veranstaltungen heute regelmäßig bis zu 400 Personen aus Wissenschaft, Praxis und Politik.
Auf Ihre Frage nach Statuskonferenzen, die mir besonders in Erinnerung geblieben sind, möchte ich die zur Qualitätsentwicklung und -sicherung anführen. Nicht etwa, weil ich die anderen vergessen hätte oder sie als nachrangig empfinde, sondern weil sie beispielhaft für die nachhaltige Wirkung der Statuskonferenzen stehen. Hier wurden in mehreren Workshops Qualitätsstandards weiterentwickelt und zentrale Begrifflichkeiten definiert. Als Ergebnis dieser Prozesse wurde 2013 das BVPG-Leitbild „Prinzipien guter Prävention und Gesundheitsförderung“ verabschiedet, das bis heute als Referenzrahmen für qualitativ hochwertige Präventionsarbeit gilt.
Die Statuskonferenzen greifen stets aktuelle, gesellschaftlich relevante Themen auf - wie etwa die Konferenz zur Gesundheitskompetenz 2024 oder zur Bewegungsförderung 2025 - und überführen die Ergebnisse in Dokumentationen und Policy Papers. Dadurch leisten sie konkrete Beiträge zur fachlichen und politischen Weiterentwicklung der Gesundheitsförderung auf Bundesebene. Ihr interdisziplinärer, dialogorientierter Charakter macht sie zu einem einzigartigen Veranstaltungsformat in der Präventionslandschaft. Die regelmäßige Durchführung seit über einem Jahrzehnt zeigt nicht nur, wie fest sie in der Arbeit der BVPG verankert sind, sondern unterstreicht ihre Relevanz für das Handlungsfeld „Prävention und Gesundheitsförderung“ insgesamt.
„Wenn es die BVPG nicht gäbe, müsste sie erfunden werden“, so ein Zitat aus den zahlreichen Glückwünschen, die uns zum 70jährigen Jubiläums erreichten. Was meinen Sie zeichnet die BVPG aus? Was macht sie so unverzichtbar?
Ich denke, dass die BVPG seit Jahrzehnten eine zentrale Instanz im deutschen Gesundheitswesen und damit von hoher Relevanz ist, beruht auf mehreren ineinandergreifenden Faktoren: Sie vereint über 130 Organisationen und fördert die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Praxis und Politik. Als Interessenvertretung bringt sie die Stimme der Prävention in politische Prozesse ein und wirkt an Gesetzgebungsverfahren mit. Darüber hinaus identifiziert sie frühzeitig neue Themen - wie etwa Digitalisierung oder Planetary Health - und trägt dazu bei, diese in fachliche und politische Agenden zu integrieren. Eine besondere Stärke der BVPG liegt in ihrer Brückenfunktion: Sie verbindet wissenschaftliche Erkenntnisse mit praktischer Umsetzung und politischen Anforderungen.
Was die BVPG für mich persönlich so besonders macht, ist genau diese Rolle als Brückeninstanz. Wir bringen Akteure aus Politik, Wissenschaft, Praxis und Zivilgesellschaft an einen Tisch, fördern den Wissenstransfer, machen gute Praxis sichtbar und begleiten die Qualitätsentwicklung - und das unabhängig, fachlich fundiert und mit einem klaren Ziel: Prävention und Gesundheitsförderung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu stärken. Dabei war es mir immer ein Anliegen, über das Fachliche hinaus auch gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen - etwa im Hinblick auf gesundheitliche Chancengerechtigkeit oder die Beteiligung benachteiligter Gruppen.
Die BVPG ist somit weit mehr als ein Gesundheitsverband unter vielen - sie ist das verbindende Element und die treibende Kraft im Handlungsfeld Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland. Ihre Fähigkeit, Akteure zu vernetzen und zu koordinieren, fachliche und methodische Innovationen zu fördern, das genuine Interesse des Arbeitsbereiches „Prävention und Gesundheitsförderung" im gesellschaftlichen und politischen Diskurs zu vertreten und Wissen zu transferieren, macht sie seit Jahrzehnten unverzichtbar. Ohne die BVPG würde dem deutschen Gesundheitswesen eine zentrale Stimme und ein Motor für Fortschritt und Zusammenarbeit fehlen. Dass diese Arbeit seit Langem auch institutionell durch das Bundesministerium für Gesundheit gefördert wird, ist ein Zeichen der Anerkennung und der fortgesetzten Relevanz der BVPG.
Damit kommen ja nochmals viele Aspekte Ihrer Tätigkeit in den Blick. Konkretisieren Sie doch bitte zunächst einmal die enge Zusammenarbeit zwischen dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und der BVPG. Welche Bedeutung kommt dieser langjährigen Kooperation für die Weiterentwicklung von Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland zu?
Die langjährige Zusammenarbeit zwischen dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und der BVPG stellt eine tragende Säule für die Weiterentwicklung von Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland dar. Diese Kooperation - von gemeinsamen Präventionskongressen über die BVPG-Statuskonferenzen bis hin zur Gremienarbeit im Rahmen der Nationalen Präventionsstrategie - sichert der BVPG nicht nur Stabilität, sondern auch die notwendige Unabhängigkeit, um als neutraler Dachverband den Austausch zwischen Politik, Praxis, Wissenschaft und Zivilgesellschaft wirkungsvoll zu fördern.
Die enge Abstimmung mit dem BMG ermöglicht es der BVPG, innovative Themen frühzeitig aufzugreifen, weiterzuentwickeln und Impulse für die fachliche und vor allem politische Gestaltung der Präventionslandschaft zu setzen. Veranstaltungen wie die Präventionskongresse bieten wichtige Plattformen für den interdisziplinären Austausch, stärken die Sichtbarkeit von Prävention als gesamtgesellschaftlicher Aufgabe und tragen dazu bei, zentrale Herausforderungen - etwa im Bereich Pflege oder sozialer Teilhabe - in den Fokus zu rücken.
Zugleich bringt die BVPG ihre fachliche Expertise in die Gremien der Nationalen Präventionskonferenz ein, beteiligt sich an der Entwicklung von Empfehlungen und unterstützt die Umsetzung nationaler Strategien. Auch die BVPG-Statuskonferenzen leisten in diesem Zusammenhang einen wichtigen Beitrag, indem sie Good-Practice-Beispiele vorstellen, aktuelle Handlungsbedarfe aufzeigen und Raum für Vernetzung und Diskussion bieten. Insgesamt zeigt sich, dass die Kooperation mit dem BMG der BVPG die Möglichkeit eröffnet, ihre Rolle als koordinierende, vermittelnde und gestaltende Instanz im Feld der Prävention und Gesundheitsförderung konsequent wahrzunehmen - auf Basis von Unabhängigkeit, fachlicher Kompetenz und strategischer Weitsicht.
Auch durch die aktive Mitwirkung in zentralen Gremien auf Bundesebene hat die BVPG einen hohen Anteil an der fachlichen und gesundheitspolitischen Diskussion sowie an der praktischen Umsetzung der Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland.
Ja genau, so ist es.
Können Sie Beispiele dafür nennen?
Gern. Als Beispiele für die BVPG-Gremienarbeit, über die im Übrigen ja auch unsere Website sehr übersichtlich informiert, möchte ich die Beratende Kommission zur Umsetzung des § 20 SGB V sowie die regelmäßigen Kooperationstreffen mit den Landesvereinigungen anführen, weil sich hier die Arbeitsweise der BVPG exemplarisch darstellen lässt.
Die Beratende Kommission ist ein zentrales Gremium im Bereich der Primärprävention und Gesundheitsförderung in Deutschland. Sie berät den GKV-Spitzenverband und die Verbände der Krankenkassen auf Bundesebene bei der Weiterentwicklung des sogenannten GKV-Leitfadens Prävention, der die Handlungsfelder und qualitativen Kriterien für die Leistungen der Krankenkassen festlegt. Die gesetzliche Grundlage dafür findet sich im Präventionsgesetz unter § 20 Abs. 2 u. 3 SGB V.
In der Kommission sind verschiedene relevante Organisationen vertreten, darunter auch die BVPG. Die Kommission begleitet und unterstützt die Umsetzung und Weiterentwicklung der gesetzlichen Vorgaben zur Prävention und Gesundheitsförderung. Dabei trägt sie wesentlich zur Qualitätssicherung und zur Anpassung an neue wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische Erfahrungen bei. Sie sorgt für die Etablierung einheitlicher, kassenübergreifender Standards, die für alle gesetzlichen Krankenkassen verbindlich sind, und fördert gleichzeitig die Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen Sozialversicherungsträgern, Bund, Ländern, Kommunen, Sozialpartnern und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Die Einbindung unabhängiger wissenschaftlicher Expertise gewährleistet dabei die Wirksamkeit und Zielgerichtetheit der Maßnahmen. Zusammenfassend leistet die Beratende Kommission einen wichtigen Beitrag zur Qualität, Einheitlichkeit und Evidenzbasierung der Präventions- und Gesundheitsförderungsleistungen der gesetzlichen Krankenkassen.
Kommen wir zu den Kooperationstreffen mit den Landesvereinigungen für Gesundheitsförderung, die seit vielen Jahren zweimal im Jahr stattfinden.
Ja, dieser regelmäßige Austausch zwischen der BVPG und den Landesvereinigungen für Gesundheitsförderung ist ein zentraler Motor für die Weiterentwicklung und Qualitätssicherung gesundheitsfördernder Strukturen in Deutschland und damit überaus bedeutsam.
Die Kooperationstreffen ermöglichen eine enge Abstimmung zu aktuellen Projekten, Herausforderungen und politischen Entwicklungen. Der kontinuierliche Informations- und Erfahrungsaustausch trägt dazu bei, neue Herausforderungen frühzeitig zu identifizieren und gemeinsam tragfähige Lösungsansätze zu entwickeln. Dabei entstehen Ziele, Strategien und Konzepte, die regionale Gegebenheiten berücksichtigen und in die nationale Präventionsstrategie zurückgespiegelt werden.
Der länderübergreifende Dialog erleichtert es zudem, innovative Ansätze und bewährte Modelle zu identifizieren, zu verbreiten und regional anzupassen. Erfolgreiche Projekte und Qualitätsstandards können so bundesweit Wirkung entfalten. Besonders im Fokus steht dabei die Förderung gesundheitlicher Chancengleichheit. Die Landesvereinigungen übernehmen in diesem Zusammenhang wichtige Aufgaben: Sie unterstützen den Öffentlichen Gesundheitsdienst vor Ort, stärken gesundheitsfördernde Strukturen und koordinieren die Aktivitäten unterschiedlicher Akteurinnen und Akteure in ihrem jeweiligen Bundesland. Darüber hinaus initiieren sie landesweite Projekte, organisieren Veranstaltungen und beraten Kommunen bei der Umsetzung entsprechender Maßnahmen. Häufig tragen sie auch Verantwortung für Koordinierungsstellen zur gesundheitlichen Chancengleichheit und sichern die Finanzierung ihrer Aktivitäten aus unterschiedlichen Quellen. Durch diesen strukturierten Austausch und die Bündelung von Interessen gewinnt die Präventionsarbeit an politischer Durchsetzungskraft.
Die enge Partnerschaft zwischen BVPG und Landesvereinigungen ist ein wesentlicher Treiber für Innovationen und eine nachhaltige Entwicklung im Bereich Prävention und Gesundheitsförderung. Die Landesvereinigungen fungieren dabei als wichtige Brückenbauer und Multiplikatoren, die die nationale Präventionsstrategie in die Landes- und kommunale Ebene tragen und so die Zusammenarbeit zwischen Sozialversicherungsträgern, Ländern, Kommunen und weiteren Partnern gezielt stärken.
Die Vernetzung der BVPG beschränkt sich nicht nur auf nationale Gremien. Welche Bedeutung haben internationale Netzwerke wie die WHO, IUHPE und EuroHealthNet für die Weiterentwicklung von Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland?
Internationale Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die International Union for Health Promotion and Education (IUHPE) und das EuroHealthNet spielen eine wichtige Rolle für die Gesundheitsförderung und Prävention in Deutschland. Besonders die WHO nimmt hierbei eine führende Funktion ein, indem sie globale Standards und strategische Rahmenwerke entwickelt, die als Leitplanken für nationale gesundheitspolitische Maßnahmen dienen.
Die WHO hat mit der Ottawa-Charta von 1986 die Grundlage für eine moderne Gesundheitsförderung gelegt und zentrale Konzepte wie den Setting-Ansatz und Health in All Policies (HiAP) etabliert. Diese Konzepte fördern ein umfassendes Verständnis von Gesundheit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe und werden in Deutschland in zahlreichen Programmen, etwa zur Förderung gesundheitlicher Chancengleichheit oder zur Gestaltung gesundheitsförderlicher Lebenswelten, praktisch umgesetzt.
Im Bereich der nichtübertragbaren chronischen Krankheiten (NCDs) wie Krebs, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen liefert die WHO mit ihrem Globalen Aktionsplan zur Prävention und Kontrolle von NCDs konkrete Empfehlungen, z. B. zur Reduktion von Risikofaktoren wie Tabak- und Alkoholkonsum, ungesunder Ernährung und Bewegungsmangel. Diese Empfehlungen finden Eingang in nationale Maßnahmen wie Steuerungsinstrumente, Aufklärungskampagnen und Gesundheitsförderungsprogramme, etwa die Diabetes-Surveillance des Robert Koch-Instituts.
Auch die WHO-Initiative zu gesundem Altern wurde früh in Deutschland aufgegriffen - beispielsweise durch den Weltgesundheitstag 1998, der durch die BVPG inhaltlich ausgestaltet wurde. Die WHO setzt damit nicht nur Impulse, sondern schafft einen strukturellen Rahmen für evidenzbasierte, koordinierte und intersektorale Präventionspolitik auf nationaler Ebene. Die IUHPE entwickelt internationale Standards und Kompetenzrahmen für Fachkräfte. Sie unterstützt die wissenschaftliche Fundierung und Professionalisierung der Gesundheitsförderung.
Apropos - Sie waren in Ihrer Zeit bei der BVPG auch Regional Vice-Präsidentin der International Union for Health Promotion and Education / Europa (IUHPE).
Das liegt zwar schon eine Weile zurück, aber ja, das stimmt. Das Amt als Regional Vice President übte ich in 2014 und 2015 aus und setzte mich in dieser Zeit besonders für das Thema „Qualität und Wirksamkeit in der Gesundheitsförderung“ ein.
Aber ich habe Sie unterbrochen, Sie wollten gerade noch etwas zum EuroHealthNet ausführen.
Ja, das dritte erwähnte Netzwerk ist das EuroHealthNet. EuroHealthNet bringt europäische Perspektiven ein und legt den Fokus auf soziale Determinanten von Gesundheit sowie die Verringerung gesundheitlicher Ungleichheiten. Durch länderübergreifende Projekte und Best-Practice-Transfer trägt EuroHealthNet zur konkreten Umsetzung von Strategien bei und fördert den europäischen Wissensaustausch. Insgesamt ermöglichen diese internationalen Kooperationen einen fruchtbaren Dialog, von dem auch Deutschland in hohem Maße profitiert: Sie fördern Innovation, stärken sektorübergreifende Zusammenarbeit, erleichtern die evidenzbasierte Politikentwicklung und tragen zur Qualitätssicherung bei. Vor allem die WHO bleibt hierbei die richtungsgebende Kraft, wenn es darum geht, Gesundheit weltweit und damit auch in Deutschland als politische und gesellschaftliche Querschnittsaufgabe zu verankern. Danke für das aufschlussreiche Interview.
Nur eine abschließende Frage noch: Was wünschen Sie der BVPG für die Zukunft?
Für die Zukunft wünsche ich der BVPG, dass sie genau diesen Weg weitergeht: innovativ, vernetzend, lösungsorientiert. Ich wünsche ihr die nötige politische, strukturelle und finanzielle Unterstützung, um ihre Rolle als Impulsgeberin weiter ausbauen zu können. Und ich wünsche mir, dass sie weiterhin den Mut hat, neue Themen frühzeitig anzustoßen, gesellschaftliche Herausforderungen klar zu benennen und gemeinsam mit ihren Mitgliedern tragfähige Antworten zu entwickeln - im Sinne einer gesünderen, gerechteren und resilienteren Gesellschaft.
Die Fragen stellte Ulrike Meyer-Funke, Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V. (BVPG).
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Gastbeitrag von Prof. Raimund Geene, Berlin School of Public Health: 10 Jahre Präventionsgesetz - Bestandsaufnahme und Perspektiven.
BVPG-Interview mit Präsidentin Dr. Kirsten Kappert-Gonther MdB zum Policy Paper der BVPG: „Gemeinsam für eine gesündere, resilientere und gerechtere Gesellschaft!“
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Dr. Beate Grossmann | Von 2016 - 2025 Geschäftsführerin der Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V. (BVPG). Zuvor war sie dort als stellvertretende Geschäftsführerin, wissenschaftliche Referentin und Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit tätig. Ihren Berufseinstieg nach dem Studium der Philosophie, Erziehungswissenschaften und Theologie begann sie als Redakteurin beim Hartmannbund - Verband der Ärztinnen und Ärzte Deutschlands e.V.; berufsbegleitend erfolgte die Promotion in Soziologie.