Cookie löschen

Interview mit Dr. Karin Geffert und Dorothea Baltruks

„Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung sind gut für Klima und Umwelt“

Dr. Karin Geffert, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung, Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), und Dorothea Baltruks, Leiterin des Centre for Planetary Health Policy (CPHP), zum BVPG-Schwerpunktthema „Klimawandel und Gesundheit“ und zu den Handlungsempfehlungen des BVPG-Policy Papers 2025.

Dr. Karin Geffert, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Lehrstuhls für Public Health und Versorgungsforschung an der Luwig-Maximilians-Universität München, (links) und Dorothea Baltruks, Leiterin Centre for Planetary Health Policy (CPHP) (rechts)
© MA.RE media (links); © Ben Mangelsdorf (rechts)

bluesky

 

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet den Klimawandel als eine der größten Bedrohungen der menschlichen Gesundheit im 21. Jahrhundert. Auch in Deutschland sind die Auswirkungen der klimatischen Veränderungen deutlich spürbar. Welche direkten und indirekten Folgen des Klimawandels beinträchtigen hier die Gesundheit vieler Menschen?

Der Klimawandel hat bereits heute spürbare Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen in Deutschland. Dabei kann allgemein zwischen direkten und indirekten Folgen unterschieden werden: Zu den direkten Folgen zählen beispielsweise die Auswirkungen durch intensivere und häufigere Hitzeperioden oder Extremwetterereignisse, wie Starkregen oder Überschwemmungen. Sie gefährden nicht nur direkt die körperliche Unversehrtheit, sondern können auch die Trinkwasserqualität und die Infrastruktur des Gesundheitswesens beeinträchtigen und bei den Betroffenen zu psychischen Störungen infolge des traumatischen Ereignisses führen.

Auch die indirekten Auswirkungen sind nicht zu unterschätzen: Infektionskrankheiten breiten sich vermehrt aus, Mücken übertragen inzwischen auch in Deutschland Krankheiten wie das West-Nil-Virus und auch die Risikogebiete für von Zecken übertragene Krankheiten wie Borreliose oder FSME nehmen zu. Gleichzeitig verstärkt Hitze die Luftverschmutzung (bedingt vor allem durch eine erhöhte Ozon-Belastung), was Atemwegserkrankungen wie Asthma oder COPD, aber auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Depressionen und andere Erkrankungen verstärkt. Durch eine verlängerte Pollensaison nehmen auch Allergiebeschwerden zu, um nur einige Beispiele zu nennen. Dazu kommen psychische und soziale Folgen: Zukunftsängste und der Verlust von Lebensgrundlagen belasten die mentale Gesundheit und der Klimawandel verstärkt soziale Ungleichheiten sowohl global als auch in Deutschland, was wiederum für die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt problematisch werden kann.


Sozial benachteiligte Menschen sind oftmals überproportional durch Klimafolgen betroffen. Welche Personengruppen sind besonders vulnerabel?

Besonders betroffen sind sogenannte Hochrisikogruppen wie ältere Menschen, schwangere Frauen, Kleinkinder, Personen mit körperlichen Beeinträchtigungen oder chronischen Erkrankungen, Menschen in Armut, ohne festen Wohnsitz und in prekären Arbeitsverhältnissen. Zudem ist die Stadtbevölkerung überproportional von Hitze betroffen, da sich dicht bebaute Stadtgebiete durch den sogenannten Wärmeinseleffekt deutlich stärker aufheizen und nachts weniger abkühlen. Ein besonderes Augenmerk sollte auch auf den Menschen liegen, die durch Mehrfachbelastungen bzw. -diskriminierungen im Sinne der Intersektionalität betroffen sind. Hier kann eine geringere Anpassungskapazität auf eine höhere strukturelle Belastung treffen und so zu einer deutlich erhöhten Betroffenheit führen. Dabei ist auch entscheidend, wer beispielsweise durch Gesundheitsfachleute oder öffentliche Stellen gezielt angesprochen wird, ob dies auch in einfacher Sprache und mehrsprachig erfolgt und was die öffentliche Infrastruktur an niederschwelligen Anpassungsmaßnahmen wie öffentliche kühle Orte, Wasserspender und barrierefreie öffentliche Toiletten bereitstellt.

Studien zeigen auch, dass viele Menschen ihre eigene Vulnerabilität z. B. gegenüber Hitze unterschätzen. Hier können Aufklärungskampagnen helfen, aber auch gezielte Hinweise etwa im Hinblick auf veränderte (Neben-)Wirkungen von Medikamenten bei Hitze oder auch angepasste Arbeitsschutzmaßnahmen sind wichtig.


Frau Dr. Geffert, Sie gehören zu den Verfasserinnen des Arbeitsgruppenpapiers „Klimawandel und Gesundheit“ der BVPG. Die AG spricht sich in ihren Empfehlungen für eine verstärkte interdisziplinäre Forschung zu klimabedingten Gesundheitsbelastungen und für ein umfassendes Monitoringsystem aus. Diese Forderungen sind auch Bestandteil des Policy Papers der BVPG. Warum müssen wir verstärkt auf Forschung und Monitoring, insbesondere im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung setzen?

Die Folgen des Klimawandels auf die Gesundheit sind im Allgemeinen umfangreich beschrieben und bekannt. Evidenzlücken bestehen jedoch bei der Frage, welche Maßnahmen in welchem Kontext wie zur Linderung der Auswirkungen oder zum Schutz von Klima und Gesundheit beitragen. Insbesondere für die kommunale Ebene brauchen wir hier bessere Datengrundlagen, um die Maßnahmen evidenzbasiert zu konzipieren und auf Grundlage der Ergebnisse gegebenenfalls auch anpassen zu können. Ein bundesweites Monitoring, in das alle Ergebnisse einfließen, kann die Entwicklung und Anpassung von Maßnahmen ebenfalls unterstützen.


Eine weitere Empfehlung der AG, die sich ebenfalls im Policy Paper der BVPG wiederfindet, ist die Verbesserung von Klimaschutz und Klimaanpassung. Frau Baltruks, welche Maßnahmen sollten dringlich umgesetzt werden?

Wenn wir die Dringlichkeit vor allem danach bewerten, wie viele Menschen wie schnell und in welchem Ausmaß davon gesundheitlich profitieren würden, dann ist die Energiewende das dringlichste Gesundheits- und Klimaschutzprogramm. Aus diesem Grund sind auch finanzielle Förderungen wichtig, mit denen klimaangepasste Sanierungen und baulich-technische Anpassungen realisiert werden können. Da spielt auch der Gesundheitssektor eine wichtige Rolle, da er zum einen selbst viel Potenzial zur Steigerung der Energieeffizienz und Umstellung auf erneuerbare Energien verfügt und zum anderen die bislang externalisierten – also an die Gemeinschaft ausgelagerten – Kosten der Luftverschmutzung und Klimawandelfolgen durch Korrelationsstudien sichtbar machen kann. Ähnlich verhält es sich mit der Verkehrs- und der Ernährungswende.

Umgekehrt sind auch Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung, die ja zum Teil schon seit Jahrzehnten gefordert werden, gut für Klima und Umwelt. Die nachhaltigste Behandlung ist die, die gar nicht stattfinden muss.

Am sinnvollsten und effektivsten sind generell Maßnahmen, die sowohl dem Klimaschutz als auch der Klimaanpassung und der Gesundheit zuträglich sind. Daher sollten auch Akteure der Prävention und Gesundheitsförderung in die Entwicklung von Konzepten und Maßnahmen für Klima und Gesundheit einbezogen werden. Stadtbegrünung kann beispielsweise zur Luftqualität und Emissionsminderung beitragen, der Bildung von Wärmeinseln entgegenwirken, bei Starkregen Versickerungsflächen bieten und die mentale Gesundheit durch öffentliche Erholungsräume unterstützen. Insbesondere zur Vorbereitung auf Hitzeereignisse, die eine konkrete Gesundheitsgefährdung darstellen, sind aber auch heute schon spezielle Maßnahmen wie z. B. die Umsetzung von Hitzeschutzplänen notwendig.

Auch die „niedrig hängenden Früchte“, die relativ schnell und ohne große Investitionskosten umgesetzt werden können, sollten dringlich angegangen werden, auch wenn sie für sich genommen vielleicht nicht den größten Impact haben – jedes Gramm CO2 und jedes gesunde Lebensjahr zählt! Dazu gehören ein Tempolimit oder eine höhere Kerosinsteuer ebenso wie eine höhere Tabaksteuer sowie Werbeverbote für Tabak- und Nikotinprodukte - die zudem in der Herstellung und Entsorgung sehr ressourcenintensiv und umweltschädlich sind.


Maßnahmen, die gut für den Klimaschutz als auch für die Gesundheit sind, bezeichnen Sie als „Co-Benefits“. In welchen Bereichen zeigt sich ein doppelter Nutzen?

Die sogenannten Co-Benefits oder auch Mehrgewinne zwischen Klimaschutz und Gesundheit sind vielfältig. Dabei geht es darum, dass viele Maßnahmen für den Klimaschutz auch gut für die Gesundheit sind – oder umgekehrt. Besonderes Potenzial zeigt sich in den Bereichen Ernährung, Verkehr und Energie: So ist eine gesunde, pflanzenbetonte und saisonale Ernährung gut für die menschliche Gesundheit, aber auch für die Umwelt durch weniger Treibhausgasemissionen, Land- und Wassernutzung, Nitrat- und Ammoniakbelastung. Durch die Förderung von aktivem Transport, wie durch den Ausbau von Radwegen, bewegen sich Menschen mehr, entlasten die Umwelt und reduzieren den Energieverbrauch, Straßenlärm und verkehrsbedingte Luftverschmutzung. Dies ist auch für die mentale Gesundheit förderlich, die außerdem nachweislich von mehr Naturräumen und Gewässern, insbesondere in Städten, profitiert.

Die Verlagerung von individueller Pkw-Nutzung auf öffentlichen Nahverkehr in Städten würde außerdem Räume schaffen, die insbesondere für Menschen in ungünstigen Wohnverhältnissen, aber auch für Kinder und Jugendliche mehr Räume zur Erholung, zur Begegnung und zur Freizeitgestaltung bieten. Wir vergessen manchmal, wie viele Menschen nicht selbst Auto fahren können, dürfen oder wollen und daher durch einen bezahlbaren, zuverlässigen, gut ausgebauten und barrierefreien ÖPNV enorm an Selbständigkeit und gesellschaftlicher Teilhabe gewinnen würden.


Sie werben dafür, das Konzept „Health in All Policies“ auf „Health for All Policies“ auszuweiten und setzen sich für starke Governance-Strukturen sowie verpflichtende Gesundheitsfolgeabschätzungen ein. Warum ist es so wichtig, Gesundheit als Bestandteil aller Politikfelder zu verstehen und in die Entwicklung von Gesetzesvorhaben und Richtlinien, wie auch im BVPG-Policy Paper benannt, einzubeziehen?

Der Schutz, der Erhalt und die Förderung von Gesundheit werden oft durch Maßnahmen aus anderen Sektoren erreicht, beispielsweise Arbeitsschutz, Verkehr und Mobilität, Ernährung und Landwirtschaft, Umwelt- und Verbraucherschutz und Städteplanung. Daher ist die Berücksichtigung von Gesundheit – einschließlich der derzeit weitgehend ausgelagerten Gesundheitskosten für die Allgemeinheit – in diesen Bereichen wichtig. Um dies zu erreichen, braucht es die entsprechenden Anreize und Strukturen, welche sektorenübergreifende Zusammenarbeit institutionalisieren und langfristig ermöglichen.

Grundlage hierfür sind Gesetze und Vorgaben, welche den Rahmen für zukünftiges Handeln von verschiedenen Institutionen gestalten und Verantwortungen beschreiben. Durch eine gesetzliche Verankerung ist die Umsetzung zwar noch nicht garantiert, aber sie ermöglicht es den Akteuren, sich darauf zu berufen, notwendige Ressourcen einzufordern und Verantwortung für ressortübergreifende Fragestellungen zu übernehmen. Gleichzeitig können Akteure entsprechend auch dafür zur Verantwortung gezogen werden, beispielsweise in Bezug auf die gesundheitlichen Auswirkungen und Kosten ihrer politischen Entscheidungen und Maßnahmen.

Das Konzept von „Health for all Policies“ nimmt die Vorteile von Gesundheit für andere Politikbereiche in den Fokus. Angesichts von knapper werdenden Ressourcen kann diese Zielsetzung helfen, sektorenübergreifende Ziele zu formulieren und Strategien zu entwickeln. Die potenziellen gesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Gewinne sollten endlich ausgeschöpft werden.

Die Fragen stellten Simone Köser und Ulrike Meyer-Funke, Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V. (BVPG).


Lesen Sie dazu auch:

BVPG-Interview mit Präsidentin Dr. Kirsten Kappert-Gonther MdB zum Policy Paper der BVPG: „Gemeinsam für eine gesündere, resilientere und gerechtere Gesellschaft!“

Interview mit BVPG-Vizepräsidentin BVPG-Vizepräsidentin Britta Susen, Bundesärztekammer (BÄK), Leiterin der BVPG-Arbeitsgruppe „Klimawandel und Gesundheit“: „Der Klimawandel hat vielschichtige Auswirkungen auf die Gesundheit!“

Möchten Sie über Neues und Wissenswertes zu Prävention und Gesundheitsförderung auf dem Laufenden gehalten werden? Hier können Sie unseren monatlich erscheinenden Newsletter bestellen.


Dr. Karin Geffert | Seit 2019 Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Lehrstuhls für Public Health und Versorungsforschung am Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE), Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und der Pettenkofer School of Public Health. Die Gesundheitswissenschaftlerin und Ärztin forscht mit einem Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit und Öffentlichen Gesundheitssystemen. Sie hat praktische Arbeitserfahrung im Öffentlichen Gesundheitswesen auf kommunaler, Landes-, nationaler und internationaler Ebene.


Dorothea Baltruks | Seit 2022 beim Centre for Planetary Health Policy (CPHP), dem Thinktank des Vereins KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V., den sie seit Juni 2024 leitet. Die Politikwissenschaftlerin und ausgebildete Ergotherapeutin hat zuvor für verschiedene NGOs, eine Beratungsfirma und Abgeordnete auf EU-, nationaler und Landesebene zu verschiedenen gesundheits- und sozialpolitischen Schwerpunkten gearbeitet.