Beitrag von Uta Maercker
„Die Förderung der Gesundheit stärkt die gesellschaftliche Teilhabe!“
Über die strukturellen Herausforderungen und die Rolle der Landesvereinigung für Gesundheitsförderung Thüringen e.V. (AGETHUR) bei der Gestaltung und Entwicklung der Gesundheitsförderung im Bundesland Thüringen berichtet deren Geschäftsführerin Uta Maercker.
In Thüringen leben derzeit ca. 2,1 Mio. Menschen in 17 Landkreisen und fünf kreisfreien Städten (TLS 2024). Seit der Wiedervereinigung 1989 ist die Bevölkerungszahl in Thüringen um fast 500.000 Menschen zurückgegangen und wird voraussichtlich weiter sinken. Diese Entwicklung wird besonders den ländlichen Raum betreffen. Lediglich für die Städte Weimar, Erfurt und Jena ist ein Bevölkerungszuwachs zu erwarten (Bund-Länder Demografieportal). Mit den demografischen Veränderungen sind strukturelle Herausforderungen in den Städten und ländlichen Regionen verbunden, die sich insbesondere auf den Alltag und die Gesundheit einer älter werdenden Gesellschaft auswirken werden.
Koordinieren und vernetzen für mehr Gesundheitsförderung im Bundesland Thüringen
Als Landesvereinigung für Gesundheitsförderung Thüringen e.V. (AGETHUR) sind wir seit 30 Jahren Koordinierungs- und Vernetzungsstelle sowie Träger zahlreicher Projekte für Gesundheitsförderung und Prävention im Bundesland.
- Wir treten für mehr gesundheitliche Chancengerechtigkeit ein, um die Gesundheitschancen derjenigen zu verbessern, die weniger günstige Lebens-, Bildungs- und Teilhabechancen haben.
- Wir setzen uns dafür ein, Gesundheit in allen Politikbereichen mitzudenken und mehr Kooperationen und Vernetzung auf Landes- und Kommunalebene anzuregen.
- Wir stärken Gesundheitsförderung in den Lebenswelten, wie. z.B. Kindertagesstätten, Schulen oder Pflegeeinrichtungen.
- Wir bringen Gesundheitsförderung als kommunale Gesamtstrategie voran und stärken Kommunen in ihrer Gesundheitsförderungskompetenz (Präventionsketten und -netze).
Gesundheit hat viele Dimensionen - und dabei geht es nicht primär um gesundheitsförderndes Verhalten, wie gesunde Ernährung, ausreichende Bewegung und Stressbewältigung. Vielmehr setzen wir uns für eine Verbesserung der Verhältnisprävention ein. Denn um eine gute Lebensqualität zu ermöglichen, ist die gesundheitsförderliche Gestaltung der Lebensbedingungen eine notwendige Voraussetzung.
Der „Health In and For all Policies“-Ansatz eröffnet die Chance, über Akteurs- und Sektorengrenzen hinweg dem Thema „Gesundheitliche Chancengerechtigkeit“ und der Etablierung von Gesundheitsförderung als „Public-Health-Querschnittsanforderung (New Public Health)“ einen höheren Stellenwert zu geben. Die Netzwerkarbeit ist dabei ein geeignetes Instrument, um Kooperationen über Akteurs- und Sektorengrenzen hinweg zu initiieren und gemeinsame Vorhaben umzusetzen. In Anpassung an die sich ständig verändernden Bedingungen und Problemlagen haben sich die Begleitung und Beratung von Netzwerkprozessen auf Quartiers-, Kommunal- und Landesebene zu einem Kernthema der AGETHUR entwickelt.
Die AGETHUR verfügt hierfür über vielfältige methodische Erfahrungen, Kenntnisse über Netzwerkdynamiken sowie die strategische und bedarfsorientierte Gestaltung von Prozessen und Kooperationen. Darüber hinaus koordiniert die AGETHUR u. a. gesundheitsfördernde Programme und Projekte zur Unterstützung eines gesunden Aufwachsens, wie beispielsweise im Bereich der seelischen Gesundheit, Sexualität und Ernährung. Ebenso bietet die Landesvereinigung zahlreiche Fortbildungen und Austauschformate für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren an und fördert die Qualitätsentwicklung sowie Angebotstransparenz im Themenfeld Gesundheitsförderung.
Präventionsketten erfolgreich auf Landesebene weiterentwickeln
Gesundheitsförderung und Prävention wirken am besten, wenn alle Angebote und Maßnahmen aufeinander abgestimmt sind und ein gemeinsames Ziel verfolgen. In Thüringen haben sich dafür im Zuge des Präventionsgesetzes (PrävG) 2016 landesweit viele Akteure zusammengeschlossen, um sich gemeinsam den Herausforderungen zum Thema Gesundheit zu stellen. Auf Landesebene wird das PrävG von der Landesrahmenvereinbarung (LRV) umgesetzt.
Die Landesgesundheitskonferenz (LGK) mit ihren mehr als 80 verschiedenen Mitgliedern fungiert als Beschlussgremium, welches sich mit den gesundheitlichen Problemlagen der Bevölkerung auseinandersetzt und entsprechende Gesundheitsziele und Maßnahmen entwickelt. Beide Prozesse haben sich in den vergangenen Jahren als aktive Instrumente der Gesundheitspolitik im Freistaat etabliert und werden jeweils durch eine bei der AGETHUR angesiedelte Geschäftsstelle koordiniert und strategisch weiterentwickelt. Zusammen stellen sie eine stabile und verlässliche Plattform für Vernetzung, Kooperation und Austausch in Zeiten, in denen Zusammenarbeit schwieriger geworden ist, dar. In beiden gesundheitspolitischen Strukturen wird der „Health in All Policies" Ansatz gelebt und umgesetzt. Und sie bieten zudem die Chance, die Themen Gesundheitsförderung und Prävention kontinuierlich auf die Agenda aller beteiligten Akteure zu setzen und langfristig entlang von Gesundheitszielen zu bearbeiten. Über die Verankerung der gesundheitlichen Chancengerechtigkeit in den Thüringer Gesundheitszielen wird das Thema besonders in die Aufmerksamkeit der Mitgliedsorganisationen gerückt und ist handlungsleitend bei der Umsetzung der Gesundheitsziele.
Ebenfalls im Auftrag des Landes übernimmt die AGETHUR die Prozessbegleitung zur Werkstatt.ZUKUNFT.GESUNDHEIT.THÜRINGEN.2030. Ziel der themenspezifischen Dialogwerkstätten ist es, gemeinsam mit den Akteuren des Gesundheitswesens die aktuellen Herausforderungen, wie z.B. die demografische Entwicklung in Verbindung mit dem zunehmenden Fachkräftemangel im Gesundheitswesen, zu analysieren sowie Lösungs- und Umsetzungsmöglichkeiten zu identifizieren und zu diskutieren. Dabei werden sowohl die Perspektiven der Bevölkerung als auch die der Beschäftigten im Gesundheitswesen in den Prozess einbezogen.
Wie stark Erfahrungen und Bedarfe aus der Praxis auf Kommunal- und Landesebene transferiert werden, zeigt sich auch am thüringenspezifischen Förderprogramm „MittelPUNKT Gesundheit“. Basierend auf einer Evaluation zum Begleitformat „Gesund alt werden im Quartier“ der Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit wurde in Kooperation mit Fachkolleginnen und -kollegen aus Niedersachsen und Berlin ein Konzept zur Öffnung des Angebots für alle Thüringer Stadtteile und Gemeinden entwickelt. Nach einer Prüfung des Konzeptes durch das ARGE GKV-Bündnis für Gesundheit Thüringen im November 2024 startet Programm im Januar 2025. Ziel ist es, die Umsetzung von Maßnahmen in Gemeinschaftseinrichtungen, die gesundheitlich besonders verletzbare Personengruppen im Blick haben, nachhaltig zu fördern. Damit wird eine wichtige Lücke zur Koordination und Etablierung von Angeboten auf Gemeindeebene geschlossen und die Weiterentwicklung von kommunalen Gesundheitsförderungs- und Präventionsketten unterstützt.
Prävention und Gesundheitsförderung sind Grundvoraussetzung für ein resilientes Gemeinwesen
Pandemie, Krieg und Klimawandel - um nur die markantesten Probleme zu nennen - stellen uns alle, insbesondere aber strukturell benachteiligte Gruppen, vor Herausforderungen und verändern das Alltagsleben zum Teil vollständig. Wie können wir angesichts dieser Herausforderungen eine widerstandsfähigere, gerechtere und nachhaltigere Gesellschaft schaffen, die Gesundheit und hohe Lebensqualität ermöglicht und im Einklang mit dem Wohl unseres Planeten steht? Prävention und Gesundheitsförderung können dazu entscheidend beitragen, allerdings nur, wenn der Baustein „Prävention und Gesundheitsförderung“ fachlich, politisch und strukturell weiterentwickelt wird! Zur Weiterentwicklung von Prävention und Gesundheitsförderung hat die BVPG im Januar 2025 ein Policy Paper vorgelegt. Wir hoffen, dass es gemeinsam gelingt, politische Entscheiderinnen und Entscheider für diese Zusammenhänge zu sensibilisieren.
Prävention und Gesundheitsförderung sind im konzeptionellen Verständnis keine weitere „Säule“ des Gesundheitswesens neben ambulanter und stationärer Versorgung, sondern eine Grundvoraussetzung für ein resilientes und damit zukunftsfähiges Gemeinwesen - auch konzeptionell und/oder zeitlich stehen sie vor Kuration, Rehabilitation und Pflege. Prävention und Gesundheitsförderung haben ein breites Verständnis, das alle Aspekte der Gesundheit - von der Bewahrung, Förderung, Rückgewinnung im Fortschreiten von Krankheit, Beeinträchtigung und Behinderung - umfasst. Unstrittig ist auch, dass menschliche Gesundheit nicht mehr entkoppelt von der planetaren Gesundheit betrachtet werden kann. Dies wird gegenwärtig durch die Klimakrise deutlich. Auch hierfür gibt es leider noch zu wenig Aufmerksamkeit.
Die Förderung der Gesundheit kann dazu beitragen, die gesellschaftliche Teilhabe zu verbessern, indem sie Menschen befähigt, ihre Rechte einzufordern und sich aktiv am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen. Durch eine aktive Teilnahme an gesellschaftlichen Prozessen erfahren Menschen Selbstwirksamkeit, stärken ihr Vertrauen in Institutionen und erleben soziale Unterstützung. Wir wünschen uns wieder mehr „Dialogräume“, mehr Annäherung von gegensätzlichen Positionen und eine Kultur des „Miteinanders“.
Uta Maercker | Seit April 2021 Geschäftsführerin der Landesvereinigung für Gesundheitsförderung Thüringen e.V. - AGETHUR - . Davor war sie bei der Landesvereinigung für unterschiedliche zielgruppenspezifische Projekte zuständig, hat die Koordinierungsstelle für Gesundheitliche Chancengleichheit Thüringen und die Geschäftsstelle der Landesgesundheitskonferenz Thüringen aufgebaut.

Gründung: 1990
Schwerpunktthemen: Beratung und Begleitung von Netzwerkprozessen auf Quartiers-, Landes- und Kommunalebene, Koordination und Umsetzung von Programmen sowie Projekten, Fortbildung von Multiplikator:innen, Vernetzungsaktivitäten, Qualitätsentwicklung)
Anzahl Mitarbeitende: 21
Anzahl Mitglieder: 70
Organisationsstruktur: Verein aus Mitgliedern mit Geschäftsstelle und Vorstand
Finanzierung: Haushaltsplan 1.894.547,32 EUR (2024), Förderungen: Institutionelle Förderung, GKV-Bündnis für Gesundheit in Thüringen, Krankenkassen, Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BiÖG), Landesfamilienförderplan und weitere Zuwendungsgeber
Sontige/weitere Informationen: Die Geschäftsstellen der Landesrahmenvereinbarung sowie der Landesgesundheitskonferenz Thüringen sind an die AGETHUR angebunden. Ebenfalls begleitet die AGETHUR im Auftrag des Landes Thüringen einen Werkstattprozess im Themenfeld Gesundheit.
In 13 Bundesländern gibt es Landesvereinigungen bzw. Landeszentralen für Gesundheit(sförderung), die über die BVPG auf Bundesebene vertreten werden. Jährlich finden zwei Kooperationstreffen mit den Landesvereinigungen und der BVPG statt.