Beitrag von Dr. Katharina Böhm
„Gesundheitsförderung und Prävention müssen politische Aufmerksamkeit erhalten!“
Dr. Katharina Böhm, Geschäftsführerin der Hessischen Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung e.V. (HAGE), berichtet über die gesundheitliche Situation im Bundesland Hessen und die HAGE. Sie fordert darüber hinaus, dass Gesundheitsförderung und gesundheitliche Chancengleichheit politisch stärker berücksichtigt werden müssen.
Hessen ist ein vielfältiges Bundesland mit urbanen Zentren, allen voran das Rhein-Main-Gebiet, und gleichzeitig vielen ländlichen Regionen, vor allem in Mittel- und Nordhessen. Hessen beheimatet mit dem Hochtaunuskreis den viertreichsten Landkreis und mit Offenbach am Main gleichzeitig die viertärmste Stadt Deutschlands, gemessen an den Einkommen der Bevölkerung. Entsprechend vielfältig sind die gesundheitlichen Herausforderungen.
Insgesamt geht es den Menschen in Hessen gesundheitlich gut. Bei fast allen im Gesundheitsatlas Deutschland erfassten Krankheiten liegen die Erkrankungsraten in Hessen unter dem Bundesdurchschnitt (WIdO 2025). Die einzige Ausnahme bilden Depressionen. Hier liegt das Bundesland mit einer Erkrankungsrate von 13,43 Prozent über dem Bundesdurchschnitt von 12,52 Prozent. In Hessen findet sich mit Offenbach am Main auch die Stadt mit dem bundesweit höchsten Depressionsanteil von 17,72 Prozent. Auch innerhalb Hessens zeigen sich ein starkes Nord-Süd-Gefälle in der Krankheitslast sowie deutliche Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Gebieten. So lag beispielsweise die Erkrankungsrate für Diabetes Typ 2 im Jahr 2022 im Landkreis Hersfeld-Rotenburg bei 15,13 Prozent in der Stadt Darmstadt hingegen bei 8,38 Prozent (Bundesdurchschnitt 11,10 Prozent; Hessendurchschnitt 11,04 Prozent) (WIdO 2025).
Zusammenarbeit mit und in den Kommunen
Von den 24 hessischen Gesundheitsämtern sind 19 Mitglied der HAGE. Dadurch besteht traditionell eine enge Zusammenarbeit zwischen der HAGE und den Gesundheitsämtern. Diese hat sich in den letzten Jahren noch weiter intensiviert, da viele Gesundheitsämter über den Pakt für den ÖGD, über die Strukturförderung des GKV-Bündnisses für Gesundheit und/oder eine entsprechende Landesförderung neue Stellen in der Gesundheitsförderung geschaffen haben. Die HAGE qualifiziert, berät und vernetzt diese Gesundheitskoordinierenden seit 2022.
Neben dem Arbeitsbereich „Gesund bleiben“ ist die Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit (KGC) Hessen hier eng eingebunden. Seit ihrer Gründung 2017 unterstützt die KGC Hessen die Akteurinnen und Akteure in den Kommunen bei der Entwicklung und dem Aufbau von integrierten kommunalen Gesamtstrategien, insbesondere für sozial benachteiligte Gruppen. Darüber hinaus begleitet die KGC Hessen engmaschig die neun hessischen Kommunen, die sich dem Partnerprozess „Gesundheit für alle“ angeschlossen haben.
Eine Zusammenarbeit der HAGE besteht auch mit den kommunalen Altenplanerinnen und Altenplanern und über die Fach- und Vernetzungsstelle Senioren- und Generationenhilfe mit den Ehrenamtsstrukturen in Hessen. Über die Landeskoordinierungsstelle „Präventionsketten Hessen“ und die Programmkoordination des Landesprogramms „Sportland Hessen bewegt“ arbeitet die HAGE zudem mit den hessischen Jugend- und Sportämtern und -akteuren zusammen und kann so die sektorenübergreifende Zusammenarbeit der verschiedenen Koordinierungsstellen auf kommunaler Ebene moderieren. Mit der Fach- und Vernetzungsstelle Gesundheitsförderung und Klimawandel bauen wir zudem seit 2023 die Zusammenarbeit auf Landes- und kommunaler Ebene zum Querschnittsthema Klima und Gesundheit aus.
Vielfältige Projekte entlang der Lebensphasen und in den Lebenswelten
In Hessen wurde die Landesrahmenvereinbarung im Jahr 2021 novelliert. Im Zuge dessen wurden drei Arbeitsgremien - die LRV-Fachforen „Gesund aufwachsen“, „Gesund bleiben“ und „Gesund altern“ - geschaffen. Diese Fachforen werden seit 2023 von der KGC Hessen fachlich- und organisatorisch begleitet.
Alle drei Lebensphasen spielen für die Arbeit der HAGE eine zentrale Rolle und fokussieren in vielfältigen Projekten verschiedene Lebenswelten. Der Bereich „Gesund aufwachsen“ konzentriert sich beispielsweise auf die Lebenswelten Kita und Schule. Mit der Fachstelle Gesundheitsfördernde Kita, der Weiterbildung „Eltern-Programm Schatzsuche“, dem Präventionsprojekt „Verrückt? Na und!“ sowie der Implementierung von Schulgesundheitsfachkräften werden sowohl Bildungsträger, Kita- und Schulpersonal als auch Kinder, Schüler und Eltern adressiert und in die gesundheitsförderliche Strukturentwicklung einbezogen.
Eine Besonderheit der HAGE ist, dass wir Gesundheitsförderung als Prozess bis zum Lebensende verstehen. Bereits seit 1997 beschäftigt sich die bei der HAGE angesiedelte Koordinierungs- und Ansprechstelle für Dienste der Sterbebegleitung und Angehörigenbetreuung (KASA) mit dem Thema „Sterben, Tod und Trauer“. KASA koordiniert, vernetzt, berät und qualifiziert die in diesem Handlungsfeld tätigen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in Hessen mit dem Ziel, die Sterbebegleitung in Hessen zu verbessern und Sterben und Tod zu enttabuisieren.
HAGE als Netzwerkknoten
Als zentrale Landesakteurin für Gesundheitsförderung und Prävention laufen bei der HAGE viele Prozesse und Strukturen der Gesundheitsförderung in Hessen zusammen. Die HAGE versucht, die verschiedenen Strukturen, Prozesse und Akteure miteinander zu verknüpfen, um ein besser abgestimmtes Handeln zu erreichen, Doppelstrukturen abzubauen und Synergieeffekte zu realisieren. Darüber hinaus befähigt die HAGE mit ihrem breiten Qualifizierungs- und Beratungsangebot die Verantwortlichen in den Lebenswelten, Gesundheitsförderung in ihrem jeweiligen Handlungsfeld möglichst qualitätsbasiert umzusetzen.
Erfolgreiche Projekte und Initiativen
Neben der Vernetzung, Koordination, Qualifizierung und Beratung gehört es zu unserem selbst gestellten Auftrag, (neue) Bedarfe zu erkennen und gemeinsam mit den verantwortlichen Akteuren in Hessen Lösungen zu erarbeiten. So sind in den letzten Jahren viele innovative Projekte und Initiativen entstanden.
Ein Beispiel hierfür sind die „Schulgesundheitsfachkräfte“, die gemeinsam mit dem Hessischen Kultusministerium entwickelt und mit Unterstützung der AOK zunächst als Modellprojekt für drei Jahre an zehn hessischen Schulen umgesetzt wurden. Die Evaluation des Projekts fiel so überzeugend aus, dass die Schulgesundheitsfachkräfte inzwischen vom Hessischen Ministerium für Kultus, Bildung und Chancen verstetigt und auf 50 Stellen aufgestockt wurden.
Ein weiteres Beispiel ist das Projekt „Gesundheitsfördernde Kita“, das gemeinsam von der HAGE und dem Sozialministerium zunächst als Fortbildungskonzept für Kita-Leitungen entwickelt wurde. Im Jahr 2023 konnte das Angebot zu einer Fachstelle ausgebaut werden. Die Fachstelle „Gesundheitsfördernde Kita“ bietet mittlerweile eine Informationsplattform sowie umfassende Qualifizierungsangebote für alle Kita-Akteure, von den Leitungen über die Fachberatungen bis hin zu den Kita-Trägern, an.
Für die Querschnittsthemen „Bewegungsförderung“ sowie „Gesundheit und Klimawandel“ wurden mittlerweile eigene Fachstellen eingerichtet. In Zusammenarbeit mit dem Land Hessen übernimmt die Landeskoordination von „Sportland Hessen bewegt“ die Förderung von Bewegung, während die Fach- und Vernetzungsstelle „Gesundheitsförderung und Klimawandel“ die Schnittstelle zwischen Gesundheit und Klimaschutz bzw. -anpassung ausbaut.
Mehr politische Aufmerksamkeit für Gesundheitsförderung und gesundheitliche Chancengleichheit
Für die Zukunft wünschen wir uns, dass Gesundheitsförderung und Prävention endlich die politische Aufmerksamkeit erhalten, die sie angesichts des demografischen Wandels und der vielfältigen gesundheitlichen Herausforderungen in unserer Gesellschaft längst haben müssten. In Zeiten multipler Krisen braucht es eine resiliente Gesellschaft! Welche Schritte dafür notwendig sind, ist weitgehend klar (z. B.: Empfehlungen des ExpertInnenrats „Gesundheit und Resilienz“ oder Bericht der Enquetekommission „Krisenfeste Gesellschaft“ in Baden-Württemberg) - die Umsetzung kommt in Deutschland aber nur sehr langsam voran. Hier müssen wir alle noch deutlicher unsere Stimme erheben und anwaltschaftlich für die Stärkung der Gesundheitsförderung und die Verbesserung der gesundheitlichen Chancengleichheit eintreten.
Für die kommunale und Landesebene hoffen wir, dass die etablierten Strukturen auch in Zeiten knapper öffentlicher Haushalte erhalten bleiben. Diese Strukturen sind wertvolle Ressourcen, um auf die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen zu reagieren.
Mit der BVPG wünschen wir uns eine weiterhin gute Zusammenarbeit. Der von der BVPG organisierte Austausch zwischen den Landesvereinigungen bzw. Landeszentralen ist für uns Geschäftsführende sehr wertvoll, weil wir dort voneinander und miteinander lernen und uns gegenseitig unterstützen können. Den von der BVPG mit ihrem Policy-Paper eingeschlagenen Kurs hin zu einer stärkeren anwaltschaftlichen Rolle für die Gesundheitsförderung und Prävention (siehe Blog-Beitrag von Stefan Koesling, Geschäftsführer der Sächsischen Landesvereinigung für Gesundheitsförderung e.V.) begrüßen wir sehr, und wir hoffen, dass dieser Weg weiter beschritten wird.
Dr. Katharina Böhm | Seit Juli 2020 Geschäftsführerin der Hessischen Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung e.V. (HAGE); davor Juniorprofessorin für Gesundheitspolitik an der Ruhr-Universität Bochum mit den Arbeitsschwerpunkten: kommunale Gesundheitspolitik, Präventionspolitik, Health in All Policies und internationaler Gesundheitssystemvergleich. Mitglied im Steuerungsgremium des Zukunftsforums Public Health, in der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention e.V. (DGSMP) und der Deutschen Gesellschaft für Public Health e.V. (DGPH).

Gründung: 1958
Schwerpunktthemen: gesundheitliche Chancengleichheit, kommunale Gesundheitsförderung, intersektorale Zusammenarbeit (HiAP)
Anzahl Mitarbeitende: 35
Anzahl Mitglieder: 62
Organisationsstruktur: Gemeinnütziger, eingetragener Verein
Finanzierung: Projektförderungen unterschiedlicher Ministerien, der Gesetzlichen Krankenkassen, Stiftungen u. a.; institutionelle Förderung durch das Hessische Ministerium für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege; Zuwendungen; Einnahmen aus Aufträgen; Mitgliedsbeiträge; Haushaltsplan 2025: 3.025.427 Euro
In 13 Bundesländern gibt es Landesvereinigungen bzw. Landeszentralen für Gesundheit(sförderung), die über die BVPG auf Bundesebene vertreten werden. Jährlich finden zwei Kooperationstreffen mit den Landesvereinigungen und der BVPG statt.