Interview mit Professorin Dagmar Starke
„Gesundheitliche Chancengerechtigkeit für sozioökonomisch Benachteiligte!“
Gemeinsam mit ihren Mitgliedsorganisationen hat die BVPG evidenzbasierte Empfehlungen zur Stärkung der gesundheitlichen Chancengerechtigkeit erarbeitet und in einem Policy Paper veröffentlicht. Dazu ein Interview mit BVPG-Vorstandsmitglied und Leiterin der BVPG-Arbeitsgruppe Professorin Dagmar Starke, Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen (AÖGW).
Frau Professorin Starke, warum ist das Thema „gesundheitliche Chancengerechtigkeit“ von hoher Relevanz zur Weiterentwicklung von Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland?
Das Thema „gesundheitliche Chancengerechtigkeit“ ist von zentraler Bedeutung für die Weiterentwicklung von Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland, da gesundheitliche Ungleichheiten tiefgreifende Auswirkungen auf die Lebensqualität, den sozialen Zusammenhalt und die Lebenserwartung der Menschen haben. Besonders sozioökonomisch benachteiligte Gruppen sind von ungleichen Gesundheitschancen und einer hohen Belastung durch Gesundheitsprobleme betroffen – eine Problematik, die durch die SARS-CoV-2-Pandemie noch deutlicher sichtbar wurde. Um dem entgegenzuwirken, müssen gesundheitliche Ungleichheiten abgebaut und eine aktive gesellschaftliche Teilhabe für alle Menschen ermöglicht werden – sei es in Bildung, Arbeit, Wohnen oder politischer Partizipation.
Prävention und Gesundheitsförderung können einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der gesundheitlichen Chancengerechtigkeit leisten, müssen jedoch stigmatisierungs- und barrierefrei für alle zugänglich sein. Dazu ist es notwendig, dass evidenzbasierte Ansätze der Prävention und Gesundheitsförderung, die sich insbesondere an sozioökonomisch und strukturell benachteiligte Gruppen richten, endlich als dauerhafte Strukturen in allen deprivierten Quartieren etabliert werden. Auch müssen diese Ansätze interdisziplinär weiter erforscht werden, um die wissenschaftlichen Erkenntnisse fortlaufend zu verbessern. Dies ist bei der Weiterentwicklung von Prävention und Gesundheitsförderung unbedingt zu berücksichtigen.
Welches Ziel verfolgt die BVPG mit dem Policy Paper 2025, insbesondere zum Themenschwerpunkt „gesundheitliche Chancengerechtigkeit“?
Mit dem Policy Paper 2025 verfolgt die BVPG u. a. das Ziel, gesundheitliche Chancengerechtigkeit als zentrales Handlungsfeld in der politischen Agenda zu verankern. Insbesondere fordert sie die Politik auf, in der kommenden Legislaturperiode gezielt Maßnahmen zu ergreifen, um die Rahmenbedingungen für sozioökonomisch und strukturell benachteiligte Gruppen nachhaltig zu verbessern und gesundheitliche Chancengerechtigkeit zu fördern.
Dazu hat die Arbeitsgruppe „Gesundheitliche Chancengerechtigkeit“ evidenzbasierte Empfehlungen entwickelt, zu denen der Aufbau gesundheitskompetenter Strukturen zählt. Diese Strukturen sollten frühzeitig im Leben ansetzen, um gesundheitliche Chancengleichheit zu fördern. Gleichzeitig ist eine bessere Vernetzung bestehender Angebote durch integrierte kommunale Strategien unerlässlich. So lassen sich Ressourcen effizienter nutzen und Dialoggruppen gezielt erreichen, was langfristig zur Verringerung gesundheitlicher Ungleichheiten beiträgt.
Darüber hinaus sollten politische Entscheidungen in einen politikfeldübergreifenden Ansatz eingebettet sein, der Gesundheit als Querschnittsthema verankert („Health in All Policies“). Ein zentrales Element dieses Ansatzes ist die systematische Gesundheitsfolgenabschätzung in Gesetzgebungs- und Planungsprozessen. Ihr Ziel ist es, die gesundheitlichen Auswirkungen von politischen Maßnahmen frühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls anzupassen. Dies ist entscheidend, um gesundheitliche Chancengerechtigkeit in der Gesetzgebung zu berücksichtigen und langfristig zu fördern.
Welche Mitgliedsorganisationen der BVPG waren in der Arbeitsgruppe „Gesundheitliche Chancengerechtigkeit" unter Ihrer Leitung beteiligt? Welche externen Expertinnen und/oder Experten waren involviert?
In unserem Dachverband der Prävention und Gesundheitsförderung auf Bundesebene engagieren sich derzeit 132 Mitgliedsorganisationen, die ein breites Spektrum zivilgesellschaftlicher Kräfte repräsentieren. So waren neben verschiedenen Berufsverbänden des Gesundheitswesens auf Bundesebene auch Vertreterinnen und Vertreter des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sowie der Prävention und Gesundheitsförderung auf Landes- und kommunaler Ebene beteiligt. Es war uns wichtig, dass möglichst viele Perspektiven der Expertinnen und Experten unserer Mitgliedsorganisationen durch das Mitwirken in der Arbeitsgruppe in die Empfehlungen einfließen.
Wir freuen uns deshalb sehr, dass wir als Expertin bzw. Experten u. a. Martina Huth von der Bundesärztekammer (BÄK) und Dr. Dominik Röding von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) gewinnen konnten. Martina Huth danken wir neben ihrem fachlichen Engagement in der AG insbesondere auch für ihren Blog-Beitrag und Dominik Röding vertrat in der Arbeitsgruppe nicht nur die Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention e.V. (DGSMP), eine unserer Mitgliedsorganisationen, sondern brachte auch als stellvertretender Leiter des Forschungsschwerpunkts Prävention am Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung der MHH seine Expertise in der Evaluation komplexer Interventionen und Politikmaßnahmen der Gesundheitsförderung bezüglich der Reduktion gesundheitlicher Ungleichheit ein.
Die Fragen stellte Ulrike Meyer-Funke, Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V. (BVPG).
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Dagmar Starke | Seit 2022 kommissarische Leitung der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen, zuvor stellvertretende Leitung und zuständig für die fachliche Koordination; Referentin für Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung sowie Gesundheitsförderung und Prävention. 2005-2010 Referentin für gesundheitspolitische Grundsatzfragen bei der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. 2005-2001 Abteilungsleitung Gesundheitsförderung, Gesundheitsberichterstattung und Beratungsdienste im Gesundheitsamt Mülheim an der Ruhr. 1995-2001 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf; stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Public Health e.V. (DGPH); Diplom-Pädagogin.