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Gastbeitrag von Professorin Eike Quilling und Janna Leimann | Präventionsforum 2024

„Der Übergang von der Schule zur Hochschule erfordert eine koordinierte Zusammenarbeit!“

Wie kann der Übergang von der Schule zur Hochschule gesundheitsförderlich gestaltet werden? Professorin Eike Quilling und Janna Leimann, beide Hochschule Bochum, Fachbereich Gesundheitswissenschaften, informieren in ihrem Gastbeitrag zum Präventionsforum 2024 über die Herausforderungen und die gesamtgesellschaftliche Verantwortung.

Porträt Prof. Dr. Eike Quilling, Professorin für Gesundheitspädagogik und -kommunikation, Hochschule für Gesundheit in Bochum, (links) und Janna Leimann, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Hochschule für Gesundheit in Bochum, (rechts)
© HS Gesundheit/ Wolfgang Helm Fotografie (links); © privat

 

Das deutsche Bildungssystem ist geprägt von Übergängen zwischen Familie und Bildungsinstitutionen sowie zwischen den Bildungsinstitutionen. Einer dieser Übergänge ist der Übergang von der Schule in die Hochschule.


Zahlreiche Herausforderungen zu Beginn des Studiums

Entscheidungen beim Übergang von der Schule in die Hochschule sind von besonderer Tragweite, da sie die Weichen für die berufliche und persönliche Entwicklung junger Menschen stellen. Schülerinnen und Schüler, die sich für ein Studium entscheiden, stehen vor einer großen Auswahl an Studienfächern: In Deutschland standen im Wintersemester 2024/2025 an 427 deutschen Hochschulen insgesamt 22.143 Studienmöglichkeiten zur Verfügung. Die meisten davon führen zu den Abschlüssen Bachelor (10.009) und Master (10.420) (Hochschulrektorenkonferenz, 2024).

Darüber hinaus müssen sich die Schülerinnen und Schüler häufig nicht nur für ein Studienfach, sondern auch für eine Hochschule und einen Studienort entscheiden. Sie verlassen ein langjährig vertrautes privates und schulisches Umfeld und finden sich in einer neuen Lernumgebung sowie neuen sozialen Netzwerken und Gemeinschaften wieder. Die Studierenden stehen vor Herausforderungen wie der Finanzierung des Studiums, einem deutlich höheren Anteil an Eigenverantwortung und eigenverantwortlichem Lernen. Darüber hinaus ist der Zugang zur Hochschule für einige Studierendengruppen wie beispielsweise für Studierende der ersten Generation, Studieninteressierte mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Studierende mit Migrationshintergrund mit zusätzlichen Hürden verbunden.

Studien belegen, dass diese Phase insgesamt von Unsicherheiten geprägt ist. Im Jahr 2015 waren 43 Prozent der Studienberechtigten ein halbes Jahr vor Schulabschluss noch unsicher hinsichtlich ihrer Studienwahl. 27 Prozent bezeichneten sich als eher unzureichend über Studien- und Ausbildungsmöglichkeiten informiert (Schneider et al., 2017; Wolter, 2023). Von den Studienanfängerinnen und Studienanfängern, die sich in den Jahren 2016 und 2017 in Deutschland für ein Bachelorstudium entschieden, haben 28 Prozent ihr Studium abgebrochen und dafür Gründe wie zu hohe Leistungsanforderungen, nicht bestandene Prüfungen, Probleme bei der Studienfinanzierung, falsche Erwartungen an das Fach, zu geringer Praxisbezug oder Angst vor vermeintlich schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt angegeben (Heublein, Schreiber & Schmelzer, 2022).

Laut einer Studie von Ebert und Heublein aus dem Jahr 2017, in der bundesweit 6.029 Exmatrikulierte von insgesamt 60 verschiedenen Hochschulen befragt wurden, brachen im Sommersemester 2014 47 Prozent der Studierenden im Bachelorstudium innerhalb der ersten beiden Semester ab. Nach vier Semestern hatten dann 76 Prozent die Hochschule verlassen.


Studierende auch gesundheitlich stark belastet

Die Daten zu Studienabbrüchen und Unsicherheiten werden durch aktuelle Daten zum Gesundheitszustand der Studierenden in Deutschland verschärft: 44 Prozent der Studierenden fühlen sich häufig im Studium oder privat gestresst. 2015 lag der Anteil noch bei 23 Prozent. Als Hauptgründe für das häufige Stresserleben werden Prüfungen, Mehrfachbelastung durch Studium und Arbeit, Angst vor schlechten Noten, zu schwieriger oder zu umfangreicher Lernstoff und finanzielle Sorgen genannt (Techniker Krankenkasse, 2023). Zudem geben 16 Prozent der Studierenden an, von mindestens einer gesundheitlichen Beeinträchtigung betroffen zu sein - davon sind 65 Prozent psychische Erkrankungen. Das Deutsche Studierendenwerk weist zudem auf einen enormen Anstieg der Nachfrage nach psychologischer Beratung bei den Studierendenwerken hin (Deutsches Studierendenwerk, 2023).

Gelingt der Übergang von der Schule ins Studium nicht optimal, kann dies nicht nur individuelle Belastungen auf Seiten der Studierenden mit sich bringen, sondern auch weitere Folgen haben: Neben Ausgaben für Behandlungen und Therapien führen Studienabbrüche und verzögerte Abschlüsse zu Einkommensverlusten und belasten damit, ebenso wie ineffiziente Hochschulressourcen und Fachkräftemangel, die Gesamtgesellschaft. Arbeitslosigkeit und niedrigere Sozialversicherungsbeiträge führen zu finanziellen Verlusten, die langfristig sowohl die Gesundheit der Betroffenen als auch die Wirtschaft beeinträchtigen können.

Die Auswirkungen eines herausfordernden Übergangs von der Schule in die Hochschule gehen somit über individuelle Krisen hinaus und haben tiefgreifende Folgen für Bildungs- und Arbeitsmärkte. Es besteht daher dringender Handlungsbedarf, die Transition von der Schule zur Hochschule effektiver zu gestalten, um individuellen und wirtschaftlichen Schäden vorzubeugen.


Gelingende Übergänge: eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung

Für gelingende Übergange müssen beispielsweise Schulen, Hochschulen, aber auch Eltern gleichermaßen aktiv werden. Um den Übergang von der Schule zur Hochschule nachhaltig und gesundheitsförderlich zu gestalten, ist eine enge Zusammenarbeit verschiedener Akteurinnen und Akteure unerlässlich. Schulen, Hochschulen, Eltern, Politik, der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) und weitere Beteiligte müssen gemeinsam agieren, um die unterschiedlichen Lebenswelten der Jugendlichen nicht isoliert, sondern vernetzt zu betrachten. Dabei ist es entscheidend, dass alle Maßnahmen aufeinander abgestimmt sind und ineinandergreifen.

In der Schule sollten Autonomie, Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit der Schülerinnen und Schüler gezielt gefördert werden. Dies kann durch Angebote zur Berufs- und Studienorientierung unterstützt werden, wie beispielsweise durch Praktika oder Orientierungswochen an Hochschulen, die realistische Einblicke in den Studienalltag ermöglichen. Zudem sind Programme zur Stärkung der Selbstregulationskompetenzen und der Medienkompetenz notwendig, um die Jugendlichen auf die Anforderungen des Studiums vorzubereiten. Auch innovative Ansätze wie ein Schulfach „Glück“ könnten dazu beitragen, die emotionale Resilienz zu fördern und die mentale Gesundheit zu stärken.

Eltern spielen ebenfalls eine wichtige Rolle im Übergangsprozess. Sie sollten ermutigend und unterstützend wirken, realistische Erwartungen an ihre Kinder stellen und sich des Einflusses ihres eigenen akademischen oder nicht-akademischen Hintergrunds bewusst sein. Zudem sollten Beratungsstellen spezielle Angebote für Eltern ohne akademischen Hintergrund anbieten. Elternbriefe und Familienberatungsstellen könnten hier eine wertvolle Hilfe bieten, insbesondere in Bezug auf Themen wie Medienkonsum und den damit verbundenen abnehmenden Aufmerksamkeitsspannen.

Darüber hinaus sollten Hochschulen gezielt Förderprogramme für Erst-Akademikerinnen und Erst-Akademiker auflegen, um Barrieren abzubauen und Chancengleichheit zu schaffen. Orientierungswochen, Kooperationen mit Schulen, Tutorien und Mentoring-Programme helfen den Studierenden, sich schneller zurechtzufinden und soziale Netzwerke aufzubauen. Grundsätzlich sollten auch in Zeiten der Digitalisierung Präsenzformate unterstützt werden, die die Gemeinschaftsbildung und den Austausch fördern. Ein flächendeckendes Studentisches Gesundheitsmanagement (SGM) könnte die psychische und physische Gesundheit der Studierenden kontinuierlich fördern, etwa durch Gefährdungsbeurteilungen, gesundheitsförderliche Studienbedingungen und gezielte Präventionsmaßnahmen.


Health in All Policies umsetzen und den Öffentlichen Gesundheitsdienst einbinden

Auf gesellschaftlicher und politischer Ebene müssen die Schnittstellen zwischen Bildung, Gesundheit und Familie klar definiert werden. Die Politik sollte das Health in All Policies-Prinzip umsetzen, um gesundheitliche Aspekte in allen politischen Entscheidungen zu berücksichtigen. Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) sollte aktiv eingebunden werden, um präventive Maßnahmen und Gesundheitsförderung für Studierende zu unterstützen. Zudem ist ein umfassendes Qualitätsmanagement mit regelmäßigen Evaluationen notwendig, um die Wirksamkeit der Maßnahmen zu überprüfen und eine Verantwortungsdiffusion zu vermeiden. Nur durch eine enge und koordinierte Zusammenarbeit dieser Akteurinnen und Akteure kann der Übergang von der Schule zur Hochschule so gestaltet werden, dass er nicht nur akademisch, sondern auch gesundheitlich erfolgreich und nachhaltig verläuft.


Lesen Sie dazu auch:

BVPG-Interview mit Mechthild Paul, Abteilungsleiterin Sexualaufklärung, Verhütung und Familienplanung, Nationales Zentrum Frühe Hilfen in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zum Übergang von der Familie in die Kita: „Frühzeitige Prävention ist gesellschaftlich und ökonomisch bedeutsam.“

BVPG-Interview mit Christina Kruse, Fachreferentin bei der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen e.V. (LVG & AFS) zum Übergang von der Kita in die Schule: „Durch einen gesunden Übergang von der Kita in die Schule entwickeln Kinder Resilienz.“

BVPG-Interview mit Andreas Seidler, Direktor des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Technischen Universität Dresden, zum Übergang von der Schule in die Ausbildung: „Mehr Health in all Policies für die Bedarfe junger Erwachsener!“

Informationen zum Präventionsforum 2024 finden Sie hier.

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Professorin Eike Quilling | Professorin für Gesundheitspädagogik und -kommunikation mit dem Schwerpunkt interprofessionelles Handeln an der Hochschule Bochum im Fachbereich Gesundheitswissenschaften und Vorstandsmitglied des Promotionskollegs NRW. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen der Gesundheitsförderung und Prävention in den Lebenswelten mit dem Fokus auf Partizipation und Netzwerkarbeit.

Janna Leimann | Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Bochum im Fachbereich Gesundheitswissenschaften und Mitglied der Forschungsgruppe „Lebensweltorientierte Gesundheitsförderung“. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen der Studierendengesundheit sowie der kommunalen Gesundheitsförderung.

Foto: Professorin Eike Quilling und Janna Leimann (v.l.n.r.)


Quellen:

Ebert, J. & Heublein, U. (2017). Ursachen des Studienabbruchs bei Studierenden mit Migrationshintergrund-zentrale Ergebnisse: Fokus: Studierende mit Migrationshintergrund. Stiftung Mercator. Verfügbar unter: https://www.stiftung-mercator.de/content/uploads/2020/12/Ursachen_des_Studienabbruchs_bei_Studierenden_mit_Migrationshintergrund_Langfassung.pdf

Deutsches Studierendenwerk (2023). Zahlenspiegel 2022/2023 [PDF]. Deutsches Studierendenwerk. https://www.studierendenwerke.de/fileadmin/user_upload/Zahlenspiegel_2022_2023.pdf Heublein, U., Schreiber, H. & Schmelzer, R. (2022). Studienabbruch während der COVID-19-Pandemie (DZHW-Brief Nr. 5/2022). Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW). https://www.dzhw.eu/pdf/pub_brief/dzhw_brief_05_2022.pdf

Hochschulrektorenkonferenz. (2024). Studienmöglichkeiten im Wintersemester 2024/2025 an deutschenHochschulen [PDF]. Hochschulrektorenkonferenz. https://www.hrk.de/fileadmin/redaktion/hrk/02-Dokumente/02-03-Studium/02-03-01-Studium-Studienreform/HRK_Statistik_BA_MA_UEbrige_WiSe_2024_25.pdf

Schneider, H., Franke, B., Woisch, A. & Spangenberg, H. (2017) Erwerb der Hochschulreife und nachschulische Übergänge von Studienberechtigten. Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, Hannover Techniker Krankenkasse. (2023). Gesundheitsreport 2023 - Wie geht’s Deutschlands Studierenden?

Techniker Krankenkasse. https://www.tk.de/resource/blob/2149886/e5bb2564c786aedb3979588fe64a8f39/2023-tk-gesundheitsreport-data.pdf

Wolter, A. (2023). Übergänge zur Hochschule und Studienverläufe: individuelle und soziale Herausforderungen unter besonderer Berücksichtigung gesundheitlicher Beeinträchtigungen. In: Timmann, M., et al. Handbuch Studentisches Gesundheitsmanagement - Perspektiven, Impulse und Praxiseinblicke. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-65344-9_26