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Interview mit Dr. Kirsten Kappert-Gonther

„Gemeinsam für eine gesündere, resilientere und gerechtere Gesellschaft!“

Das BVPG-Policy Paper zur nachhaltigen Gestaltung von Prävention und Gesundheitsförderung bietet einen Leitfaden für politische Entscheidungsträger zu den Themen Gesundheitliche Chancengerechtigkeit, Bewegung, Sport und Gesundheit, Klimawandel und Gesundheit und psychische Gesundheit. BVPG-Präsidentin, Dr. Kirsten Kappert-Gonther MdB, erläutert die zentralen Empfehlungen.

Portät Dr. Kirsten Kappert-Gonther MdB, Präsidentin der BVPG
© Thomas Trutschel

 

Im Kontext der gesellschaftspolitischen Herausforderungen in der nächsten Legislaturperiode hat die BVPG ein Policy Paper zur Stärkung von Prävention und Gesundheitsförderung veröffentlicht. Warum ist eine Stärkung der Gesundheit in Deutschland von so zentraler Bedeutung?

Gesundheit ist zentral für jede einzelne Person, grundlegend für unser Gemeinwohl und auch den gesellschaftlichen Wohlstand. Doch unsere Gesundheit, insbesondere die psychische Gesundheit, ist stark unter Druck. Das Versorgungssystem ist vielerorts überlastet. Es ist entscheidend, mehr auf Prävention und Gesundheitsförderung zu setzen. Zum einen, um unser aller Gesundheit zu stärken, zum anderen, weil sonst die Schwere zwischen Hilfebedarf und Hilfsangebot weiter auseinander gehen wird. Gesundheit entscheidet sich im Alltag und hängt sehr von den äußeren Bedingungen ab.

Aktuell stehen wir vor erheblichen gesellschaftlichen und geopolitischen Herausforderungen, zuvörderst die Klimakrise, die die größte Gesundheitsgefahr unserer Zeit ist. Aber auch der demografische Wandel wird unser Gesundheitssystem verändern. Laut Prognosen des Instituts der Deutschen Wirtschaft werden bis 2036 etwa 16,5 Millionen Babyboomer in Rente gehen, und bis 2030 könnte es uns bereits an fünf Millionen Fachkräften fehlen. Hinzu kommt der Druck auf die Demokratie, der auch immer eine Bedrohung der Gesundheit ist. Gesundheit braucht Demokratie. Darum geht es gar nicht anders: Wir müssen Prävention und Gesundheitsförderung politisch und strukturell stärken.


Welche Schwerpunktthemen hat die BVPG in ihrem Paper identifiziert, und wie wurden diese in Zusammenarbeit mit ihren Mitgliedsorganisationen entwickelt?

Die BVPG hat sich in ihrem Policy Paper auf vier gesellschaftlich relevante Schwerpunktthemen konzentriert: Gesundheitliche Chancengerechtigkeit, Klimawandel und Gesundheit, Bewegung Sport und Gesundheit und psychische Gesundheit.

Diese Themen wurden evidenzbasiert in Zusammenarbeit mit zahlreichen Mitgliedsorganisationen sowie Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Bereichen in vier separaten BVPG-Arbeitsgruppen entwickelt und unter Einbindung des BVPG-Gesamtvorstands als BVPG-Policy Paper „Herausforderungen und Chancen zur Weiterentwicklung von Prävention und Gesundheitsförderung in der 21. Legislaturperiode“ verabschiedet.

Mit diesem gemeinsamen Paper bieten der Politik einen wertvollen Leitfaden zur Gestaltung einer nachhaltigen und am Gemeinwohl orientierten Gesundheitspolitik für die nächste Legislaturperiode. Alle diese Themen sind interdependent, was bedeutet, sie beeinflussen sich gegenseitig. Unser Grundgedanke ist „Health in and for All Policies“, denn so gut wie alle politischen Entscheidungen können einen Einfluss auf unsere Gesundheit haben. Wenn wir beispielsweise unsere Städte so bauen, dass sich Menschen darin gut und sicher im Alltag begegnen und bewegen können, ist das gerecht, fördert die körperliche und seelische Gesundheit und ist gut fürs Klima.Das zeigt, wie wichtig eine ganzheitliche Betrachtung von Gesundheit ist.


Über welche Kompetenzen und Ressourcen verfügt die BVPG, um die relevanten Themen im Bereich Prävention und Gesundheitsförderung zu identifizieren?

Es ist ein Pfund, dass die BVPG auf eine 70-jährige Geschichte als Dachverband für Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland aufbaut. Unsere derzeit 134 Mitgliedsorganisationen decken ein breites Spektrum zivilgesellschaftlicher Kräfte und relevante Blickwinkel ab.

Wir agieren als moderierender, beratender und vernetzender Akteur, der Entwicklungen in der Gesundheitsförderung kontinuierlich begleitet. Unser Ziel ist es, Prävention in allen gesellschaftlichen Bereichen zu fördern und tragfähige Strukturen zu erhalten. Durch diesen kontinuierlichen Austausch, die Einbeziehung aktueller Forschungsergebnisse und die Expertise unserer Mitgliedsorganisationen entwickeln wir regelmäßig Positionen und Empfehlungen, die als Grundlage für politische Entscheidungen dienen.


Welche übergeordneten Empfehlungen des Policy Papers sind für die Entwicklung einer resilienten Gesellschaft besonders wichtig?

Das BVPG-Policy Paper enthält eine Vielzahl grundlegender Empfehlungen. Zentral ist die Verwirklichung eines „Health in and for All Policies“-Ansatzes. Es ist entscheidend, dass gesundheitliche Aspekte in alle politischen Entscheidungsprozesse integriert werden. Dies bedeutet, dass alle Gesetze und Richtlinien daraufhin überprüft werden, welche gesundheitlichen Auswirkungen sie haben könnten.

Gesundheitsfolgenabschätzungen helfen hierbei, potenzielle Risiken frühzeitig zu erkennen und gute Entscheidungen zu treffen. Eine weitere Empfehlung ist die Sicherstellung gesundheitlicher Chancengerechtigkeit. Alle Menschen sollen die gleichen Chancen haben, gesund aufzuwachsen und alt zu werden. Ganz entscheidend dabei ist: Klimaschutz ist Gesundheitsschutz. Wir empfehlen konkrete Maßnahmen zur Hitzeanpassung und wie das Gesundheitswesen zum Klimaschutz beitragen kann, zur Förderung von Bewegung und zur Stärkung der psychischen Gesundheit. Zentral ist es, evidenzbasierte und interdisziplinäre Ansätze zu fördern.


Die interdisziplinäre, interprofessionelle und sektorenübergreifende Zusammenarbeit scheint ein Schlüssel zum Erfolg zu sein. Können Sie die zentralen Empfehlungen des BVPG-Positionspapiers näher erläutern?

Die Stärkung gesundheitlicher Chancengerechtigkeit erfordert bereits in der frühen Kindheit den Aufbau gesundheitsfördernder Strukturen. Wir müssen die Gesundheitskompetenz gerade auch im Bereich der psychischen Gesundheit stärken. Besonders integrierte kommunale Strategien sind wichtig, um bestehende Angebote besser zu verknüpfen und sichtbar zu machen. Die Klimakrise muss aktiv gestoppt und Gesundheitsrisiken müssen noch besser erkannt und adressiert werden. Maßnahmen sollten partizipativ entwickelt und umgesetzt werden. Zudem empfehlen wir die Entwicklung einer nationalen Agenda zur Bewegungsförderung und auch für psychische Gesundheit, die in allen Lebensbereichen wirksam wird.

Ein ganz zentraler Aspekt für individuelles Wohlbefinden, aber auch für unsere Wirtschaft, ist die Stärkung der seelischen Gesundheit. Psychische Erkrankungen sind häufig. Deshalb ist es wichtig, durch den Ausbau der Mental Health Surveillance durch das Robert-Koch-Institut Datenlücken zu schließen und spezifische Maßnahmen besser zu planen. Public Mental Health und die Förderung der seelischen Gesundheit sollten als gesellschaftliche Verantwortung verankert werden, auch mit dem Ziel, soziale Ungleichheiten abzubauen. Auch sektorenübergreifende Zusammenarbeit muss gestärkt werden, um eine vernetzte Gesundheitsförderung zu gewährleisten.Diese Empfehlungen decken viele Bereiche ab.


Wie sieht die Umsetzung der Handlungsempfehlungen in der Praxis aus, und welche Rolle spielen dabei die Mitgliedsorganisationen der BVPG?

Die Umsetzung in der Praxis ist ein komplexer Prozess, der eine enge Zusammenarbeit und den Austausch von Informationen zwischen verschiedenen Akteuren erfordert. Unsere Mitgliedsorganisationen spielen dabei eine entscheidende Rolle. Sie bringen nicht nur Fachwissen und Erfahrung in den Arbeitsgruppen zu Themen Gesundheitliche Chancengerechtigkeit, Klimawandel und Gesundheit, Bewegung Sport und Gesundheit und psychische Gesundheit ein.

Die BVPG-Mitgliedsorganisationen sind auch vor Ort aktiv und setzen konkrete Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung um. Gemeinsam fördern wir den Dialog zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis, um bedarfsgerechte, zielgerichtete und nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Durch die Koordination unserer Mitgliedsorganisationen und deren Engagement können wir sicherstellen, dass unsere Empfehlungen in der Praxis widergespiegelt werden und einen echten Unterschied machen.


Zum Abschluss: Wie lautet ihr Appell an politischen Entscheiderinnen und Entscheider für die kommende Legislaturperiode?

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir Gesundheit über die Gesundheitspolitik hinaus ganzheitlich betrachten und die Gesundheitsförderung interdisziplinär angehen. Die Herausforderungen, die vor uns liegen, erfordern Mut zur Veränderung und zur Innovation. Deutlich wird, dass die vier Themen in Verbindung zueinanderstehen. Lassen Sie uns diese Co-Benefits noch besser nutzen. Gemeinsam können wir eine gesündere, resilientere und gerechtere Gesellschaft schaffen, die zukünftige Herausforderungen besser bewältigen kann.


Die Fragen stellte Dr. Beate Grossmann, Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V. (BVPG).

Dr. Kirsten Kappert-Gonther | Seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages (Bündnis 90/Die Grünen) und seit Anfang 2022 amtierende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses. Von 2011 bis 2017 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft und Sprecherin für Gesundheitspolitik der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Von 2005 bis 2017 eigene Praxis für Psychotherapie in Bremen.