Block II: Aktuelle und zukünftige Themen, Arbeits- und Aufgabenbereiche
Gesundheitliche Chancengerechtigkeit
„Um gesundheitliche Chancengerechtigkeit zu stärken, sollten künftig Community-Ansätze auf ihre Wirksamkeit evaluiert und bei Wirksamkeitsnachweis regelfinanziert werden.“ Dr. Dominik Röding | |
© Medizinische Hochschule Hannover (MHH) |
Laut Präventionsgesetz sollen Prävention und Gesundheitsförderung zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen beitragen. Obwohl die Ursachen gesundheitlicher Ungleichheiten gut erforscht sind, persistieren soziale Ungleichheiten in der Gesundheit und der Lebenserwartung und werden teils größer. In einigen Industrienationen steigt die Lebenserwartung nur noch bei privilegierten Gruppen, während sie bei unterprivilegierten Gruppen nicht mehr steigt oder sogar sinkt.
Unter der Chiffre Präventionsdilemma ist bekannt, dass verhaltenspräventive Angebote überwiegend privilegierte Gruppen erreichen. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Je mehr Handlungsspielraum einem die persönlich zur Verfügung stehenden Ressourcen bieten, desto einfacher ist es, sein Gesundheitsverhalten zu optimieren. Wenn die persönlichen Arbeits- und Lebensbedingungen bereits eher gesundheitszuträglich als -abträglich sind, ist es rational, sich auf das Gesundheitsverhalten zu fokussieren. Die Fokussierung auf Gesundheitsverhalten wird zum Distinktionsmerkmal für privilegierte Milieus und die Lebensstile unterprivilegierter Milieus werden zum Stigma. Präventionskurse werden entsprechend bislang meist von und - wenngleich nicht unbedingt absichtlich, so doch faktisch - vorrangig für Angehörige privilegierter Milieus konzipiert.
Community-Ansätze müssen gestärkt werden
Der fachliche Diskurs fordert seit Jahrzehnten eine stärkere finanzielle Förderung für die Entwicklung, Erprobung und Etablierung von sog. Community-Ansätzen, die unterprivilegierte Gruppen ermächtigen, ihre Arbeits- und Lebensbedingungen gesünder zu gestalten. Das Modell der sozialen Determinanten der Gesundheit und das Health-in-All-Policies-Konzept bieten hierfür die wichtigsten theoretischen Grundlagen. Aufgrund zu geringer finanzieller Förderung hat es Jahrzehnte gedauert, eine ausreichende Zahl dieser Community-Ansätze zu entwickeln und zu erproben, um jetzt auf Basis von Meta-Analysen die benötigten finanziellen Mittel einzufordern. Allerdings ist die Evidenzlage noch immer dünn und für Deutschland mangelt es an Langzeitstudien zur Evaluation dieser komplexen Interventionen und Politikmaßnahmen.
Langzeitstudien zur Verbesserung der Datenlage notwendig
Aktuelle Herausforderungen in Deutschland: Erstens sollten Community-Ansätze, für die bereits Evidenz zur Wirksamkeit vorliegt (z. B. Präventionsketten und Communities That Care), eine Regelfinanzierung erhalten. Zweitens ist der Ressourcenkonflikt zwischen einerseits Verhaltensprävention und medikalisierter Prävention sowie andererseits Verhältnisprävention zu lösen. Um eine überzeugende Evidenzbasis zur Effektivität von Community-Ansätzen schaffen zu können, sollten drittens alsbald Förderprogramme für Langzeitstudien zur Evaluation von komplexen Interventionen und Politikmaßnahmen finanziert werden und das entstehende Forschungsdatenzentrum Gesundheit sollte zeitnah geeignete Daten für retrospektive Evaluationen von Community-Ansätzen zugänglich machen. Viertens entstehen durch Klimawandel, demographische Entwicklungen etc. Weiterentwicklungsbedarfe im Bereich der Community-Ansätze, die mit entsprechenden Förderprogrammen hinterlegt werden sollten.
Dr. Dominik Röding | Stellvertretender Leiter des Schwerpunktes Prävention am Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Er beschäftigt sich mit der Evaluation von komplexen Interventionen und Politikmaßnahmen der Gesundheitsförderung sowie mit gesundheitlichen Ungleichheiten.