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Block I: Die BVPG im Wandel der Zeit — Rückschau auf die Entwicklung von Prävention und Gesundheitsförderung in den vergangenen 70 Jahren



70 Jahre BVPG und die Herausforderungen des gesellschaftlichen Wandels


„Der Druck auf die Gesundheit, körperlich und seelisch, ist groß. Gesundheit entwickelt sich im Alltag. Um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen, braucht es den Fokus auf Prävention und Gesundheitsförderung in allen Politikbereichen, Health in all Policies. Dafür müssen wir unsere Kräfte bündeln und ganz im Sinne des Mottos der 23. Statuskonferenz „Prävention und Gesundheitsförderung: gemeinsam weiterentwickeln und gestalten.““

Dr. Kirsten Kappert-Gonther MdB |
Amtierende Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Gesundheit und
Präsidentin der Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V.

Dr. Kirsten Kappert-Gonther MdB
© Thomas Trutschel

Die Bundesvereinigung hat in den vergangenen 70 Jahren beharrlich die Entwicklungsprozesse um Gesundheitsförderung und Prävention inspiriert, vorangebracht und begleitet und sich im Zuge des kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Wandels stetig auch selbst weiterentwickelt. Die aktuellen Drucksituationen auf die körperliche und seelische Gesundheit sind sehr groß. Eine gute Gesundheitsversorgung der Zukunft kann nur gelingen, wenn ein umfassender Health in all Policies-Ansatz etabliert wird und es einen deutlichen Schub zu Gunsten von mehr Prävention und Gesundheitsförderung gibt.


70 Jahre Prävention und Gesundheitsförderung entwickeln und gestalten

Als 1954 der damalige „Bundesausschuss für gesundheitliche Volksbelehrung“ gegründet wurde, sind bereits die Kernaufgaben, die die heutige BVPG unverzichtbar machen, in der Satzung festgeschrieben worden. Sie setzt sich für Strukturbildung ein, um die verschiedenen Akteure des Handlungsfeldes aus Praxis, Wissenschaft und Politik zusammenzuführen, fördert deren Vernetzung und Austausch und übernimmt die Anwaltschaft für den gesamten Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung auf Bundesebene.

Der gesellschaftliche Wandel führte Ende der 1960er Jahre dazu, dass paternalistische und potenziell stigmatisierende Begriffe wie „Sozialhygiene“ und „gesundheitliche Volksbelehrung“ allmählich aus dem Sprachgebrauch verdrängt wurden - und so wurde 1969 der „Bundesausschuss für gesundheitliche Volksbelehrung“ in „Bundesvereinigung für Gesundheitserziehung e.V. (BfGE)“ umbenannt - immer noch eine zu verengende Begrifflichkeit. Der notwendige Ansatz von Teilhabe und Empowerment in der Gesundheitsförderung stand noch aus.

Die späten 1960er und 1970er Jahre brachten die Ökologie-, Selbsthilfe-, Gesundheits- und Frauenbewegungen hervor, die sich im Ruf nach mehr Basisdemokratie einig waren und in Folge der 68er-Kulturrevolution das „soziologische Zeitalter“ einläuteten. Die soziale Bedingtheit von Verhalten wird deutlicher. Was dies für „Gesundheit“ bedeutet, hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufgegriffen und mit der ersten Konferenz zur Gesundheitsförderung im November 1986 in Ottawa den Paradigmenwechsel eingeläutet: weg von der pathogenetischen und medizinalisierten Orientierung, hin zur Betonung der Faktoren, die vor Krankheit schützen und Befähigung, Kompetenzen und Widerstandskräfte stützen.

Die Bundesvereinigung greift diesen Wandel auf und benennt sich 1992 in „Bundesvereinigung für Gesundheit e.V. (BfGe)“ um. Die Überwindung des „Erziehungsbegriffs“ in der Gesundheitsförderung verdeutlichte, dass fortan alle Ansätze und Maßnahmen, auch die strukturellen, sich aus den Lebenswelten ableiten, die für das Entstehen von Gesundheit relevant sind.

Nachdem 2002 mit der Gründung des „Deutschen Forums Prävention und Gesundheitsförderung (DFPG) durch Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt ein weiterer Schritt zur Stärkung der Prävention unternommen worden war, der aber auch eine Parallelstruktur zur Bundesvereinigung bedeutete, fusionierten 2007 beide Organisationen zur heutigen „Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V. (BVPG)“.

Welche Ressourcen in der BVPG zur Stärkung der Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland liegen, hat auch der Gesetzgeber erkannt: Als 2015 auch aufgrund des Hinwirkens der BVPG das Präventionsgesetz in Kraft trat, erweiterte sich ihre Arbeit ab 2016: Gemäß § 20e Satz 2 SGB V führt sie das Präventionsforum durch, um mit dieser jährlichen Fachveranstaltung der Nationalen Präventionskonferenz (NPK) u. a. Impulse zur Weiterentwicklung der Bundesrahmenempfehlungen zu geben, die zusammen mit dem Präventionsbericht die nationale Präventionsstrategie darstellen.

Die BVPG war in all den Jahren jeweils im Kontext gesellschaftlicher Veränderungen konstant impulsgebend, beratend und vernetzend tätig - und sie trägt durch all diese Aktivitäten sowie ihre Positionierungen (z. B. zur „Weiterentwicklung des Handlungsfeldes Prävention und Gesundheitsförderung" (PDF)) sowie ihre Stellungnahmen (z.B. zum Entwurf „Gesundes-Herz-Gesetz" (PDF) und zum Gesetzesentwurf „Stärkung der Öffentlichen Gesundheit" (PDF)) zur zukunftsweisenden Ausgestaltung von Prävention und Gesundheitsförderung bei.


Herausforderungen im Kontext gesellschaftlicher Veränderungen

Gerade heute, wo unsere Gesellschaft durch die Zunahme weltweiter Krisen und damit einhergehender gesellschaftlicher Verunsicherung gefordert wird und unter Druck gerät, braucht es mehr Bewusstsein dafür, was uns gesund hält und was krank machen kann. Darum ist es entscheidend, den Ansatz von Health in all Policies zu stärken. Darin liegt eine große Chance für das individuelle Wohlbefinden, aber auch auf gesellschaftlicher und politischer Ebene.

Dies kann gelingen, wenn die Auswirkungen von Gesetzesvorhaben auf die Gesundheit der Bevölkerung insgesamt, aber insbesondere auf Bevölkerungsgruppen mit besonderen Bedarfen überprüft würden. Hierbei sind auch Auswirkungen auf sozioökonomische Gegebenheiten einzubeziehen, da diese die gesundheitlichen Chancen beeinflussen. So lässt sich z. B. in der Mental Health Surveillance des Robert Koch-Instituts (RKI) deutlich erkennen, dass die Inzidenzen depressiver Symptome bei Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss höher waren als die des Durchschnitts jeder anderen Bildungskategorie im Zeitraum Mitte 2019 bis Mitte 2022.

Die größte Gesundheitsgefahr unserer Zeit ist die Klimakrise. Die Klimakrise gefährdet unsere Gesundheit, körperlich und seelisch. Ermutigend ist die Tatsache, dass es deutliche Co-Benefits gibt. Das, was dem Klima dient, fördert auch die Gesundheit. Klimaschutz ist Gesundheitsschutz.

Die vielfältigen Möglichkeiten zur positiven Beeinflussung der Gesundheit mittels Gesetzgebung sollten wir nicht übersehen, sondern diese aktiv nutzen. Immer mit dem Ziel, die Gesundheitschancen aller zu verbessern und somit auch positiven Einfluss auf die gesellschaftlich-soziale und damit verbundene wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land zu nehmen. Solche Entwicklungen im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung wirken sich demokratiestärkend und positiv auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt aus.

Die zügige Umsetzung von Health in and for All Policies ist der entscheidende Schritt in diese Richtung. Sie wäre Voraussetzung dafür, dass Prävention und Gesundheitsförderung fachlich und strukturell so weiterentwickelt werden können, dass ressortübergreifende Rahmenbedingungen zur Verbesserung der gesundheitlichen Chancengleichheit in gesundheitsfördernden Lebenswelten entstehen.

Das kann gelingen, wenn wir für die anstehenden Herausforderungen unsere Kräfte bündeln und ganz im Sinne dieser 23. Statuskonferenz „Prävention und Gesundheitsförderung: gemeinsam weiterentwickeln und gestalten“.


Dr. Kirsten Kappert-Gonther | Seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages (Bündnis 90/Die Grünen) und seit Anfang 2022 amtierende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses. Von 2011 bis 2017 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft und Sprecherin für Gesundheitspolitik der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Von 2005 bis 2017 eigene Praxis für Psychotherapie in Bremen.