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Interview mit Angelika Baldus

„Bewegungsförderung braucht mehr als Projektitis und Kampagnen!“

Mitte März 2024 wurden beim zweiten Bewegungsgipfel die Ergebnisse des Runden Tisches Bewegung und Gesundheit (BMG) und des Entwicklungsplans Sport (BMI) diskutiert. Angelika Baldus, hauptamtlicher Vorstand des Deutschen Verbands für Gesundheitssport und Sporttherapie e.V., erläutert im BVPG-Interview die Aktivitäten im Bereich Bewegungsförderung.

Porträtbild von Angelika Baldus, geschäftsführender Vorstand des DVGS e.V.
© Drathen

 

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) versammelte in den Jahren 2022 und 2023 maßgebliche Akteure – darunter auch die Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung (BVPG) – sowie Multiplikatorinnen und Multiplikatoren am „Runden Tisch Bewegung und Gesundheit“ zum Dialog. Wie kam es dazu?

Die Deutschen bewegen sich zu wenig. Einer Studie des Robert Koch-Instituts zufolge erreichen lediglich 23,3 Prozent der Frauen und 29,4 Prozent der Männer das empfohlene Mindestmaß an körperlicher Aktivität in Deutschland. Mit ihrer Abschlusserklärung zum ersten Bewegungsgipfel 2022 (PDF) hatten sich deshalb der Bund, die Länder, die kommunalen Spitzenverbände und der organisierte Sport darauf verständigt, die Förderung des Sports als Gemeinschaftsaufgabe zu initiieren. Parallel zur Sportförderung hat im Oktober 2022 das BMG unter Leitung der Parlamentarischen Staatssekretärin Sabine Dittmar zum „Runden Tisch Bewegung und Gesundheit“ eingeladen – zur Förderung der Bewegung.


Wer nahm am Runden Tisch Bewegung und Gesundheit teil?

Ständige Teilnehmende des Runden Tisches waren Vertreterinnen und Vertreter der Bundesministerien, der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, des Robert Koch-Instituts, der Fachministerkonferenzen der Länder, der kommunalen Spitzenverbände, der Sozialversicherungsträger und der privaten Kranken- und Pflegeversicherung sowie weiterer Fachverbände mit dem Ziel, im Dialog zur Stärkung von Bewegung und Bewegungsförderung in Deutschland beizutragen.


Was wurde am Runden Tisch diskutiert?

In fünf Sitzungen stellten die Beteiligten für die Lebensphasen und Lebenswelten der Bewegungsförderung ihre Beiträge und Aktivitäten vor und diskutierten den weiteren Versorgungsbedarf in Deutschland. In der Abschlusssitzung am 28. August 2023 wurden erste Ergebnisse präsentiert und ein Konsenspapier Runder Tisch Bewegung und Gesundheit (PDF) verfasst, dass dann auf dem zweiten Bewegungsgipfel am 12. März 2024 vorgestellt wurde.


Welche Vertreterinnen und Vertreter nahmen explizit für den Bereich Bewegung und Bewegungsförderung am Runden Tisch teil?

Am Runden Tisch vertraten vier Organisationen explizit die Themen Bewegung und Bewegungsförderung: die BVPG, das WHO Collaborating Centre for Physical Activity and Public Health Erlangen-Nürnberg – im Jahr 2016 vom BMG beauftragter Herausgeber der Nationalen Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung, der Deutsche Olympische Sportbund e.V. sowie der Deutsche Verband für Gesundheitssport und Sporttherapie e.V. (DVGS). Der DVGS hat 2017 im Auftrag des BMG die Studie „Systematische Erfassung relevanter Akteurinnen und Akteure, Berufsgruppen sowie künftiger Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in der Bewegungsförderung zur Analyse und Entwicklung eines interdisziplinären Netzwerks zur nachhaltigen Bewegungsförderung (SAMBA)“ durchgeführt.


Welche Ziele sind diesen vier Organisationen zur Bewegungsförderung wichtig?

Die vier Organisationen haben sich auf die zentrale evidenzbasierte Bedeutung von körperlicher Aktivität, Bewegung und/oder Sport verständigt und eine organisationsübergreifende Stellungnahme zu Prozess und Ergebnis bzw. Zielorientierung beim BMG eingereicht. Die Unterzeichnenden empfehlen

  • Strukturen zu schaffen, eine nationale Agenda und intersektorale Zusammenarbeit der Akteurinnen und Akteure
  • die Weiterentwicklung des Nationalen Aktionsplans IN FORM und die Nutzung der Ergebnisse der transdisziplinären BMG-Projekte KOMBINE und VERBUND sowie die Förderung weiterer Forschung
  • die Etablierung eines eigenen Nationalen Gesundheitsziels Bewegungsförderung
  • die Aktualisierung der Nationalen Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung
  • ein Nationales Kompetenzzentrum Bewegungsförderung

Welche konkreten Ergebnisse zur Bewegungsförderung liegen derzeit vor?

Das BMG hat inzwischen die Aktualisierung der Nationalen Empfehlungen Bewegung und Bewegungsförderung eingeleitet. Zur Vorbereitung eines Nationalen Gesundheitsziels Bewegungsförderung haben die vier oben genannten Organisationen eine „Kriterienanalyse für ein Gesundheitsziel Bewegungsförderung“ erarbeitet – unter Beteiligung des Evaluationsbeirates für Gesundheitsziele der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e.V. (GVG), der DAK-Gesundheit, des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Sport des Landes Mecklenburg-Vorpommern, der Gesundheitsregion Köln-Bonn e.V. und der Bundesärztekammer.

Das Bundeskabinett hat die Einrichtung eines Nationalen Kompetenzzentrums für Bewegungsförderung beschlossen. Zur Vorbereitung der Einrichtung hat das BMG ein Gutachten in Auftrag gegeben.


Mitte März fand dann der zweite Bewegungsgipfel statt, zu dem erneut Vertreterinnen und Vertreter von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden sowie des organisierten Sports eingeladen waren. Worum ging es bei dem Treffen?

Sportförderung und Bewegungsförderung waren Schwerpunkte des Bewegungsgipfels 2024 in Berlin – unter Federführung des Bundesministeriums des Innern (BMI) und des BMG. Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach und Bundesinnenministerin Nancy Faeser stellten den viel diskutierten Sportentwicklungsplan vor und kündigten an, dass ein Nationales Kompetenzzentrum Bewegungsförderung in das geplante Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) integriert werden soll. Diese Ankündigung wurde inzwischen in einer Stellungnahme des Zukunftsforums Public Health (ZfPH) scharf kritisiert.

Die BVPG und der DVGS unterstützen die wesentlichen Punkte dieser Kritik: der fehlende Health-in-All-Policies-Ansatz - es werden lediglich drei Krankheitsgruppen fokussiert - sowie die dysfunktionale Versäulung durch die institutionelle Trennung von Infektionskrankheiten und nichtübertragbaren Krankheiten.


Was sollte aus Ihrer Sicht ein Nationales Kompetenzzentrum Bewegungsförderung leisten und wie beurteilen Sie die bisherigen Planungen?

Ein Nationales Kompetenzzentrum muss ein breites Spektrum abdecken:
Körperliche Aktivität, Bewegung, Bewegungsförderung und der Sport müssen in ihrer jeweiligen Wirksamkeit und Zielorientierung in der Gesundheitsversorgung strukturiert werden. Dazu bedarf es zunächst einer Evidenzanalyse, die uns die Sport- und Bewegungswissenschaften liefern können.
Ein Nationales Kompetenzzentrum kann aber nicht allein auf der Säule der Wissenschaft aufbauen. Wir brauchen die Unterstützung aller Beteiligten. Voraussetzung dafür ist, dass Akteure, Berufsgruppen, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie Organisationen und Institutionen aus bestehenden „Verinselungen“ herausgelöst und zielorientiert sowie koordiniert miteinander vernetzt werden.

Weiterhin müssen die Maßnahmen zur körperlichen Aktivität, Bewegung und Bewegungsförderung sowie zur Sportförderung nicht nur für die Gesundheitsförderung, sondern insbesondere auch für die Gesundheitsversorgung gesichtet und zielgerichtet gesteuert werden. Der Versorgungsansatz geht weit über die Primärprävention hinaus und müsste mit Blick auf den demografischen Kontext auch die Akutversorgung, die Rehabilitation, die Rehabilitationsnachsorge und sogar die Pflege mitberücksichtigen. Ziel muss eine sektorenübergreifende und zielgerichtete Steuerung von Bewegung und Bewegungsförderung sein. Dies impliziert, dass ein Nationales Kompetenzzentrum Bewegungsförderung multidisziplinär ausgerichtet sein muss und nicht einseitig in der Medizin verortet werden kann.

 

Gesundheitsversorgung durch Bewegungsförderung braucht Zeit und Kontinuität. Immer wieder nur Projekte durchzuführen bzw. „Projektitis“ und Kampagnen reichen da nicht aus.


Die Fragen stellte Inke Ruhe, Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V. (BVPG).


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BVPG-Interview mit Dr. Lennert Griese, Gesundheitswissenschaftler an der Universität Bielefeld mit Forschungsschwerpunkt Gesundheitskompetenz. Er ist Teil des WHO Action Network on Measuring Population and Organizational Health Literacy (M-POHL) und des Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz (NAP): „Die Gesundheitskompetenz ist ungleich in der Bevölkerung verteilt.“

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Angelika Baldus | Seit 2018 Hauptamtlicher Vorstand des Deutschen Verbands für Gesundheitssport und Sporttherapie e.V. (DVGS), seit 1990 Geschäftsführerin des DVGS; Studium Lehramt mit 1. und 2. Staatsexamen für Sport und Geschichte Sek. I und II; Qualitätsauditorin TÜV.

Der Deutsche Verband für Gesundheitssport und Sporttherapie e.V. (DVGS) qualifiziert als Fachverband Bewegungsfachkräfte und vertritt deren Interessen in Öffentlichkeit und Politik. Er fördert die Wissenschaft und sorgt für die Umsetzung der Ergebnisse in der Praxis, indem er qualitätsgesicherte Bewegungsprogramme konzipiert und diese den Akteuren im Gesundheitssystem zur Verfügung stellt.