Beitrag von Dr. Beate Grossmann
„Weiterentwicklung von Prävention und Gesundheitsförderung“
Gemeinsam mit ihren 136 Mitgliedsorganisationen hat die BVPG in einem partizipativen Prozess Positionen für die zukünftige Ausrichtung von Prävention und Gesundheitsförderung erarbeitet und auf ihrer Mitgliederversammlung am 22. Mai 2023 verabschiedet. Dr. Beate Grossmann, Geschäftsführerin der BVPG, erläutert das Dokument, das den politisch Verantwortlichen Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Handlungsfeldes geben soll.
Eine größere Bedeutung von Prävention und Gesundheitsförderung kann nach Einschätzung der BVPG entscheidend zu einer verbesserten Lebensqualität der Bevölkerung in Deutschland beitragen, allerdings nur, wenn das Handlungsfeld fachlich, politisch und strukturell weiterentwickelt wird.
Die grundsätzliche Forderung nach Stärkung und Verankerung von Prävention und Gesundheitsförderung als eines ressortübergreifenden und vor allem die Verhältnisprävention berücksichtigenden Handlungsprinzips ist zentrales und zugleich verbindendes Element der folgenden fünf Empfehlungen:
- Das Präventionsgesetz in eine gesundheitsförderliche Gesamtpolitik einbinden
- Prävention und Gesundheitsförderung als Querschnittsaufgabe weiterentwickeln und ausbauen
- Kommunale Gesundheitsförderung weiterentwickeln
- Digitalen Fortschritt und wertebasierte Orientierung in Einklang bringen
- Ziele, Pläne, Strategien: Bestehendes sichten und Mehrfachentwicklungen vermeiden
1. Das Präventionsgesetz in eine gesundheitsförderliche Gesamtpolitik einbinden
Die bisherige Umsetzungspraxis des am 25. Juli 2015 in Kraft getretenen Präventionsgesetzes zeigt, dass durch die föderale Struktur Deutschlands die gesetzgeberischen (also verpflichtenden und ggf. sanktions-bewehrten) Möglichkeiten des Bundes auf die (vergleichsweise engen) Aufgabenbereiche der Sozialversicherungsträger und insbesondere die Erbringung vorgegebener finanzieller Leistungen durch die gesetzliche Krankenversicherung und die soziale Pflegeversicherung beschränkt sind.
Umso wichtiger ist daher der Health-in-and-for-All-Policies-Ansatz als der zentrale Ansatz für eine zukunftsfähige Politik. Darum wäre es sinnvoll, zukünftig alle neuen Gesetzesvorhaben auf Bundes- und Landesebene auf ihre gesundheitlichen Auswirkungen hin zu analysieren. Darüber hinaus gilt es, neue Wege der Zusammenarbeit der Ministerien zu schaffen, um die sektor- und ressortübergreifende Zusammenarbeit dauerhaft zu ermöglichen.
2. Prävention und Gesundheitsförderung als Querschnittsaufgabe weiterentwickeln und ausbauen
Prävention und Gesundheitsförderung sind keine weitere „Säule" des Gesundheitswesens, sondern eine basale Voraussetzung für ein resilientes und damit zukunftsfähiges Gemeinwesen. Deshalb, so die dringende Empfehlung, darf keinesfalls am Budget für Prävention und Gesundheitsförderung gespart werden! Auch wenn sich - aus ganz unterschiedlichen Gründen - in zunehmendem Maße Engpässe bei der Finanzierung der unterschiedlichen Sozialversicherungssysteme auftun und die öffentlichen Kassen leer sind: Effekt- und zielorientierte Ausgaben für die Prävention und Gesundheitsförderung sind Investitionen, die helfen, menschliches Leid durch Krankheiten, Invalidität oder Pflegebedürftigkeit zu vermindern und langfristig die entsprechenden Ausgaben in diesen Bereichen zu senken. Darüber hinaus sind auch für weitere gesellschaftspolitische Bereiche - bei mittel- und längerfristiger Beetrachtung - sekundäre Einsparungen zu erwarten.
Ferner kann zweifellos menschliche Gesundheit nicht mehr entkoppelt von planetarer Gesundheit gesehen werden. Dies wird gegenwärtig durch die Klimakrise deutlich. Es gilt, die vielfältigen Einflüsse des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit in den Blick zu nehmen und gemeinsam zu handeln. Da die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels und die individuellen Ressourcen zu deren Milderung ungleich in der Bevölkerung verteilt sind, müssen neben allgemeinen Maßnahmen insbesondere Maßnahmen zur Förderung und Verbesserung gesundheitlicher Chancengleichheit entwickelt und zur sozialen Inklusion in den Lebenswelten des Alltags umgesetzt werden.
Ein weiteres Ziel muss dabei sein, die individuelle wie auch die organisationale Sicherheits- und Gesundheitskompetenz zu stärken, damit insbesondere strukturell benachteiligte Personengruppen in die Lage versetzt werden, selbst und/oder unterstützt durch das Bildungs-, Sozial- bzw. Gesundheitssystem u. a. relevante Gesundheitsinformationen zu finden, zu verarbeiten und zu verstehen sowie zu angemessenen gesundheitsbezogenen Entscheidungen zu kommen.
3. Kommunale Gesundheitsförderung weiterentwickeln
Um diese Empfehlung zu realisieren, bedarf es tragfähiger Rahmenbedingungen: Prävention und Gesundheitsförderung sollten zu pflichtigen Aufgaben der kommunalen Selbstverwaltung und als Pflichtaufgaben in den Gesundheitsdienstgesetzen der Länder für den Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) verankert werden - und auch die Finanzierung von zielgruppenbezogenen Gesundheitsförderungsmaßnahmen vor Ort muss dauerhaft gesichert sein. Strukturell betrachtet, liegt die Verantwortung dafür bei den Kommunen. Im Sinne der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung müssen Kommunen dabei aber unterstützt werden.
Mit dem Pakt für den ÖGD hat der Bund dafür bereits den Grundstein gelegt. Darüber hinaus sollte geprüft werden, ob nicht auch auf das Handlungsfeld „Prävention und Gesundheitsförderung" übertragen werden könnte, was in anderen Bereichen (Straßenbau, Hochschulbau, digitale Aufrüstung von Schulen etc.) in Sachen „Transferleistungen des Bundes an die Länder und Kommunen" bereits erprobt worden ist. So könnte der Bund Mittel für den KiTa-Ausbau, das Teilhabepaket oder gleichwertige Lebensverhältnisse zur Verfügung stellen.
Auch die gesetzlichen Krankenkassen sollen in der kommunalen Gesundheitsförderung unterstützend wirken, indem sie z. B. den Aufbau von Strukturen im Sinne einer Anschubfinanzierung finanziell fördern. Ein positives Ergebnis der bisherigen Umsetzungen der Regelungen des Präventionsgesetzes sind die Aktivitäten des GKV-Bündnisses für Gesundheit, die konsequent auf einen Abbau strukturell bedingter sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit hinwirken.
4. Digitalen Fortschritt und wertebasierte Orientierung in Einklang bringen
Autonomie, Empowerment, Partizipation und soziale Gerechtigkeit - an diesen Werten orientiert sich Gesundheitsförderung. Gerade mit Blick darauf gilt es also zu prüfen, wie digitaler Fortschritt so gestaltet werden kann, dass dieser dem Menschen dient bzw. ausgeschlossen werden kann, dass er ihm schadet.
Digitale Angebote sind kein „Allheilmittel". Es muss genau differenziert werden, in welchen Bereichen digitale Angebote tatsächlich Chancen bieten, z. B. weil sie einen niedrigschwelligen Zugang ermöglichen, aber auch, wo diese Angebote nicht greifen. Konkret ist daher neben der Qualität jeweils zu prüfen, für wen, in welcher Situation, mit welchem Ziel das Angebot eingesetzt wird. Daneben sollte auch immer die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, digitale, hybride und nicht-digitale Maßnahmen kombiniert - und nicht im Sinne eines Entweder-Oders - weiterzuentwickeln und anzubieten. Auch sollte die Barrierefreiheit stets berücksichtigt werden.
5. Ziele, Pläne, Strategien: Bestehendes sichten und Mehrfachentwicklungen vermeiden
Für die Gemeinschaftsaufgabe „Prävention und Gesundheitsförderung" sind in Deutschland viele verschiedene Akteure zuständig. Das führt zu einer bunten und kaum noch überschaubaren Vielfalt von Aktivitäten im Handlungsfeld. Gefordert ist deshalb eine bessere Integration und Koordination der Pflichten und Aufgaben, aber auch der Finanzierungs- und Evaluierungsbedarfe auf Seiten der zahlreichen unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure und Aktivitäten, damit Konfliktpotentiale erkannt und Doppelentwicklungen ebenso wie Mehrfachfinanzierungen vermieden werden können.
Das Positionspapier kann hier heruntergeladen werden (PDF).
Lesen Sie dazu auch:
Dr. Beate Grossmann, Geschäftsführerin der BVPG, zum Positionspapier „Eckpunkte der zur Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V. (BVPG) zur Weiterentwicklung des Präventionsgesetzes (PrävG)“.
Interview mit Dr. Rüdiger Krech, Director Health Promotion, Division of Universal Health Coverage and Healthier Populations, WHO, zum 75. Jubiläum der WHO: „Health For All - 75 years of improving public health“.
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Dr. Beate Grossmann | Seit 2016 Geschäftsführerin der Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V. (BVPG). Zuvor war sie dort als stellvertretende Geschäftsführerin, wissenschaftliche Referentin und Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit tätig. Frau Dr. Grossmann ist Mitglied in nationalen Gremien, Autorin zahlreicher Veröffentlichungen und angefragt für vielfältige Beratungs-, Gutachtens-, Vortrags- und Moderationstätigkeiten.