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Gesunde Ernährungsumfelder schaffen

Gesundheitsförderliche Ernährungspolitik zeigt Reformbedarf

Deutschland liegt bei der Schaffung gesunder Ernährungsumfelder im internationalen Vergleich hinter seinem Potenzial - das geht aus einem Ergebnisbericht der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU München) und des Leibniz Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie - BIPS hervor. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben auf Basis der Forschungsergebnisse konkrete Reformempfehlungen veröffentlicht.

Würfel buchstabieren Reform
© Frank Täubel - Fotolia.com

 

Unausgewogene Ernährungsmuster sind für rund 15 Prozent aller Todesfälle und Gesundheitskosten in Höhe von 17 Milliarden Euro pro Jahr in Deutschland verantwortlich und schaden Klima und Umwelt. Gleichzeitig ist es 91 Prozent der deutschen Bevölkerung wichtig, sich gesund zu ernähren (BMEL-Ernährungsreport 2021). Ein aktuelles Forschungsprojekt zeigt, dass das derzeitige Ernährungsumfeld in Deutschland hinsichtlich der Unterstützung einer gesundheitsfördernden Ernährungsweise ausbaufähig ist und welche prioritären Handlungsoptionen die Politik hat. 

Im Forschungsprojekt wurden die politischen Rahmenbedingungen von Ernährung in Deutschland mit einem standardisierten Verfahren erfasst und mit internationalen Best Practices verglichen, mit dem Ziel, Reformempfehlungen zu entwickeln. Hierfür wurde eine international anerkannte Methodik genutzt: der Food Environment Policy Index (Food-EPI). Dieser Ansatz wurde bereits in über 40 Ländern weltweit angewandt und ermöglicht einen internationalen Vergleich. "Die Ergebnisse des Food-EPI 2021 zeigen, dass Deutschland aktuell weit hinter internationalen Best Practices zur Schaffung gesunder Ernährungsumfelder zurückbleibt und dringender Reformbedarf besteht", so Dr. Peter von Philipsborn, Mitarbeiter am Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung LMU München und Leiter des Forschungsprojekts. Die LMU München und das Leibniz Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie haben mit 55 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung aus ganz Deutschland die Handlungsempfehlungen entwickelt. 


Handlungsempfehlungen für Politik

Was kann die Politik tun, um die Ausgangsbedingungen für eine ausgewogene Ernährung für alle Menschen in Deutschland zu verbessern? Die Forscherinnen und Forscher identifizierten fünf auf Maßnahmen bezogene Handlungsempfehlungen sowie drei auf Strukturen bezogene Handlungsempfehlungen.

Mit den folgenden fünf Maßnahmen kann die Politik ihrem Ziel näherkommen, der Bevölkerung eine ausgewogene Ernährung im Alltag möglich und einfacher umsetzbar zu machen:

  1. Qualitativ hochwertige, gebührenfreie Schul- und Kitaverpflegung: flächendeckende und steuerfinanzierte Umsetzung verbindlicher Qualitätsstandards (bereits entwickelt von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE)
  2. Gesundheitsförderliche Mehrwertsteuerreform: Senkung des Mehrwertsteuersatzes auf gesunde Lebensmittel (wie z.B. Obst und Gemüse) und keine Mehrwertsteuervergünstigung für ungesunde Lebensmittel.
  3. Eine Herstellerabgabe auf Softdrinks: Einführung einer nach dem Zuckergehalt gestaffelten Herstellerabgabe auf Softdrinks und Verwendung dieser Einnahmen für die Verbesserung der Kita- und Schulverpflegung
  4. Regulierung von Kinder-Lebensmittelmarketing: Einführung verbindlicher gesetzlicher Regelungen, um die an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel zu minimieren
  5. Gesundes Essen in öffentlichen Einrichtungen: Einführung verbindlicher Qualitätsstandards der DGE auch in anderen öffentlichen Einrichtungen, wie Behörden, Hochschulen, Kliniken, Seniorenheimen

Und wie können die Voraussetzungen für eine gesundheitsförderliche Ernährungspolitik durch strukturelle Maßnahmen langfristig verbessert werden? Die Forscherinnen und Forscher empfehlen folgende strukturelle Ansätze:

  1. Evaluation von Maßnahmen: begleitende Evaluation der Maßnahmen zur Förderung gesunder und nachhaltiger Ernährung mit wissenschaftlich soliden Methoden
  2. Sammlung und Analyse von Ernährungsdaten: Sammlung und Auswertung von Daten zu Ernährungsstatus, Ernährungswissen und Ernährungsverhalten
  3. Wissens- und Erfahrungsaustausch: Verbesserung des Wissensaustauschs zwischen Politik, Praxis und Wissenschaft durch geeignete Verfahren und Plattformen

Handeln auf allen politischen Ebenen

Für die Umsetzung dieser Maßnahmen ist ein Handeln auf allen politischen Ebenen erforderlich:

  • EU-Ebene: Reform der EU-Umsatzsteuerrichtlinie, um eine vollständige Mehrwertsteuerbefreiung für gesunde Lebensmittel zu ermöglichen.
  • Bundesebene: Investitionsprogramm für eine Verbesserung der Kita- und Schulverpflegung, finanziert durch eine Herstellerabgabe auf Süßgetränke; Umsetzung einer gesundheitsförderlichen Mehrwertsteuerreform; Beschluss einer verbindlichen Regulierung von Kinder-Lebensmittelmarketing; Einführung verbindlicher Qualitätsstandards für die Verpflegung in Kliniken, Bundesbehörden und weiteren öffentlichen Einrichtungen.
  • Landesebene: Umsetzung verbindlicher Qualitätsstandards für die Kita- und Schulverpflegung.
  • Kommunale Ebene: Verbesserung der Verpflegung in kommunalen Kitas, Schulen, Kliniken und weiteren kommunalen öffentlichen Einrichtungen.

Die Forscherinnen und Forscher betonen, dass keiner dieser Maßnahmen allein ausreiche, um ein gesundheitsförderliches Ernährungsumfeld für alle zu schaffen und es eine Kombination verschiedener Maßnahmen brauche. Die verschiedenen Maßnahmen sind zum Teil gesetzlicher Natur mit entsprechenden Kontrollinstanzen (Beispiel: Regulierung des Kinderlebensmittelmarketings). Zum Teil sind es auch öffentliche Investitionen und Zuschüsse (Beispiel: Verbesserung der Kita- und Schulverpflegung). Die dafür benötigten finanziellen Mitteln könnten aus der Herstellerabgabe auf Süßgetränke sowie aus einer gesundheitsförderlichen Mehrwertsteuerreform generiert werden - zusätzlich hätten diese Maßnahmen einen Lenkungseffekt auf Produktzusammensetzung und Konsum.

Die Umsetzung dieser Maßnahmen erfordere politischen Willen und entschiedenes Handeln. Der Blick auf internationale Erfahrungen zeige, dass Umsetzungsbarrieren überwunden und substanzielle Verbesserungen der Ernährung der Bevölkerung erreicht werden können, so die Autorinnen und Autoren abschließend.

 

Die gesamten Ergebnisse mit detaillierter Beschreibung aller Reformoptionen einschließlich relevanter Quellen und primärer Zuständigkeitsebene sowie das Vorgehen können Sie dem ausführlichen Ergebnisbericht "Politik für eine gesunde Ernährung: Ausgangslage und Reformvorschläge. Der Food Environment Policy Index (Food-EPI) Ergebnisbericht für Deutschland" entnehmen (PDF).

In einem Policy Brief haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die wichtigsten Ergebnisse des Food Environment Policy Index 2021 für Deutschland kompakt auf vier Seiten zusammengefasst (PDF).

Das englischsprachige Publikationsmanuskript finden Sie hier (PDF).