Interview mit Dr. Christian Felten
„Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit sind entscheidende Grundlagen allen Wirtschaftens“
Gesundheit und Arbeitsleistung hängen eng miteinander zusammen. Dr. Christian Felten Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit e.V. (Basi), über Gesundheitsförderung im Homeoffice, die Bedeutung von Gesundheitskompetenz und über die „Vision Zero“ beim Kongress A+A.
In diesem Jahr findet wieder die A+A als größtes Treffen der Akteure des Arbeits- und Gesundheitsschutzes und weltweit führender Marktplatz für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit statt. Um welche Themen wird es schwerpunktmäßig gehen?
Das Thema Corona-Pandemie wird auf dem A+A Kongress 2021 natürlich einen großen Raum einnehmen. Dabei geht es aber nicht nur um Infektionsschutz und Homeoffice. Das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben hat sich als Folge der Corona-Pandemie insgesamt dramatisch verändert – ganze Branchen liegen zur Zeit nieder und es ist nicht abzusehen, wann sie sich wieder erholen. Aber eines ist in der Pandemie ganz deutlich geworden: Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit sind entscheidende Grundlagen allen Wirtschaftens.
Auf dem Kongress werden deshalb strategische Themen prominent zu finden sein: Wie sieht die Arbeit in Zukunft aus, was macht „Gute Arbeit“ aus und wie können wir Sicherheit, Gesundheit und Nachhaltigkeit auch innerhalb weltweiter Lieferketten gewährleisten? Eine wichtige Rolle kann in diesem Zusammenhang der Denkansatz der „Vision Zero“ spielen - einer umfassenden Präventionskultur mit dem erklärten Ziel, tödliche und schwere Arbeitsunfälle sowie Berufskrankheiten gänzlich zu vermeiden.
In den Fachveranstaltungen wird der Kongress die ganze Breite des Themenspektrums Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit widerspiegeln. Das reicht von Fragen der technischen Sicherheit von Maschinen und Anlagen über die Einbettung des Arbeitsschutzes in betriebliche Managementsysteme, dem sicheren Umgang mit Gefahrstoffen bis zu Fragen der ergonomischen Gestaltung der Arbeit und der Betrieblichen Gesundheitsförderung. Nach wie vor von großer Bedeutung für die Betriebe ist der umfassende und konkrete Blick auf die Arbeitsbedingungen bei der Gefährdungsbeurteilung.
Durch die Pandemie verlagert sich das Arbeiten immer mehr ins Homeoffice. Was empfehlen Sie zur sicherheits- und gesundheitsgerechten Ausgestaltung des Arbeitsplatzes?
Nach der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung hat der Arbeitgeber den Beschäftigten im Fall von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten anzubieten, diese Tätigkeiten in deren Wohnung auszuführen, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen. Arbeitgebende müssen in diesem Zusammenhang die mit der Tätigkeit im Homeoffice verbundenen Gefährdungen durch eine Gefährdungsbeurteilung ermitteln und entsprechende Maßnahmen treffen: Es darf als Endziel keine unterschiedlichen Standards für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit in Betrieb und Homeoffice, zwischen Großbetrieb und Kleinbetrieb geben.
Es beginnt bei der Schaffung guter Voraussetzungen mit der Beantwortung der Frage: Welche technischen und ergonomischen Bedingungen müssen aufgrund der Gefährdungsbeurteilung zunächst geschaffen werden? Zusätzlich sind insbesondere die psychischen Gefährdungen zu berücksichtigen, die sich bei der Arbeit zu Hause ergeben können. Weiterhin sollten gemeinsam klare Regelungen zu Arbeitszeiten, Arbeitspausen und Erreichbarkeit festgelegt werden. Ausführliche Hinweise zur ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung und Nutzung der Arbeitsmittel geben die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen.
Was ist dabei nach Altersgruppen und auch genderspezifisch zu berücksichtigen?
Es scheint so zu sein, dass die Beschäftigten mit zunehmendem Alter immer besser mit dem Arbeiten im Homeoffice zurechtkommen – oder salopp gesagt: je älter, desto Homeoffice. Laut einer repräsentativen Umfrage vom April 2020 geben rund 67 Prozent der über 50-Jährigen an, gut zu Hause arbeiten zu können. Bei den 18- bis 29-Jährigen sind es nur 30,1 Prozent, die nach eigenen Angaben gut klarkommen. Dieses Ergebnis verwundert, sagt man den Jüngeren doch eine deutlich höhere Affinität zu moderner Kommunikationstechnik nach. Aber offenbar ist der sichere und routinierte Umgang mit der Technik nur ein Faktor für gutes Arbeiten.
Junge Berufsanfänger wie zum Beispiel Auszubildende oder Trainees müssen ja erst noch lernen, was überhaupt zu erledigen ist und mit welcher Priorität. Erfahrenen Mitarbeitenden fällt es erheblich leichter, eigenständig zu arbeiten – Stichwort Selbstmanagement. Insgesamt hilft Berufserfahrung sehr dabei, allein mit seinen Aufgaben klar zu kommen.
Bei jüngeren Mitarbeitenden sind zudem der Wunsch und die Erfordernisse nach Feedback meist deutlich stärker ausgeprägt. Führungskräfte und hilfsbereite, kompetente Kolleginnen und Kollegen sind weit weg.
Die fehlende Trennung von Berufs- und Privatleben ist laut einer Studie der TU Chemnitz für gut ein Viertel der im Homeoffice Arbeitenden eine Belastung. Vor allem Frauen mit kleinen Kindern erleben dies als sehr anstrengend und stressig, so dass hier die Burnout-Gefahr besonders hoch ist.
Besonders Führungskräfte sind in dieser Situation gefordert, Feedback in Einzelgesprächen oder Chats – wo immer möglich – zu geben und zu organisieren. Und, ganz wichtig: Bei solchen Gesprächen darf es nicht nur um die Arbeitsaufgaben gehen. Auch das persönliche Befinden soll angesprochen werden können, wenn dies gewünscht wird.
In einer für Deutschland repräsentativen Stichprobe wiesen 54 Prozent der Befragten eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz auf. Inwiefern kann das Setting „Arbeit“ durch entsprechende Angebote zu einer Verbesserung der Gesundheitskompetenz beitragen?
Grundsätzlich kann man sagen: Wer im Betrieb auf den Erhalt seiner Gesundheit achtet, wird dies auch eher in seiner Freizeit tun! Das Setting Arbeitswelt kann also erheblich zur Verbesserung der gesamten Gesundheitskompetenz beitragen.
Nun sind wir aber in einer Zeit großer Umbrüche in der Arbeitswelt. Es entstehen neue Arbeitsformen wie Smart Factory, automatisierte Logistik, Co-working Spaces, Homeoffice und Instant Offices – um nur einige zu nennen.
Zeitliche und örtliche Flexibilität wird von den Beschäftigten in immer größerem Umfang erwartet. Gleichzeitig können sie mit den klassischen Instrumenten des Arbeitsschutzes immer schlechter erreicht werden.
In diesen neuen Arbeitsstrukturen müssen die Beschäftigten eine grundlegende Sicherheits- und Gesundheitskompetenz besitzen, um für sich selbst sorgen zu können. Die Fähigkeiten und Möglichkeiten des Einzelnen müssen gestärkt werden, um im Arbeitsalltag im Sinne gesundheitsförderlicher Arbeit zu entscheiden und zu handeln. Dies umfasst die Sensibilisierung, die „Selbstachtsamkeit“, die handlungsorientierte Aktivierung für Fragen der Gesundheit sowie auch die Fähigkeit der Führungskräfte, entsprechend gesundheitsförderlich zu führen.
Gerade kleine und Kleinstunternehmen haben oft nicht die Möglichkeiten, präventive Maßnahmen umzusetzen. Was raten Sie ihnen?
Zunächst vorweg: Kleine und Kleinstunternehmen haben ja nicht per se schlechtere Arbeitsbedingungen.
Gerade im Handwerk ist die überschaubare Größe durchaus auch ein Vorteil. Die Betriebe sind oft flexibel, aus Tradition familiennah und weit anpassungsfähiger als andere. Damit bestehen gute Voraussetzungen, Arbeit gesundheitsgerecht zu organisieren. Andererseits haben sie häufig keine Personalabteilung und oft wenig zeitliche und personelle Ressourcen, um sich aktiv mit ihren Arbeitsprozessen zu beschäftigen und diese gesundheitsförderlich und innovativ zu gestalten. Sie haben schon genug damit zu tun, die Aufgaben des klassischen Arbeitsschutzes zu erfüllen, wie zum Beispiel eine sinnvolle Gefährdungsbeurteilung mit entsprechenden Maßnahmen durchzuführen.
Nicht jede präventive Maßnahme ist zwangsläufig mit großen Investitionen verbunden. Und sie sollte gut gewählt sein! Kleine Unternehmen wissen oft zu wenig über die Möglichkeiten, die zum Beispiel die Träger der Sozialversicherungen ihnen bieten. Dabei können die großen Institutionen wie Krankenkassen, Unfallversicherung, Kammern mit ihren ausgeprägten Beratungsstrukturen helfen.
Ich rate den Unternehmen, sich an diese Institutionen zu wenden und sich beraten zu lassen. Sie helfen zum Beispiel auch schon bei der systematischen Bedarfserhebung oder auch ganz elementar durch praktische Einkaufsführer zu geprüften Produkten.
In der Arbeitswelt scheinen Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und Gesundheitsförderung immer noch nicht so richtig zusammengefunden zu haben – trotz der durch das Präventionsgesetz vorgesehenen verbesserten Kooperationsmöglichkeiten. Was könnte helfen, die Situation weiter zu verbessern?
Beide waren in der Vergangenheit wie Schiffe auf See in der Nacht. Zwar waren die Lichter gesetzt, man sah sich aus der Ferne, aber es gab keinen weiteren Austausch und jeder fuhr seinen Kurs weiter. Mit dem Präventionsgesetz ist ein großer Anfangsschritt in Richtung Stärkung der Kooperation gemacht worden. Um im Bild zu bleiben: Man kann jetzt längsseits gehen und den Kurs gemeinsam fortsetzen.
Wir müssen den gegebenen gesetzlichen Rahmen nun weiter ausfüllen und die Institutionen mit ihren jeweiligen Stärken noch mehr in den Dienst der gemeinsamen Sache stellen. Auch wenn viele Akteure in ähnlicher Weise aktiv sind, glaube ich, dass über die Ziele, Methoden, Angebote und berechtigten Interessen der Institutionen immer noch vieles unbekannt ist.
Der Austausch und das „voneinander Lernen“ ist und bleibt der Schlüssel zu einer besseren Kooperation. Das gilt auch in den Betrieben: Hier ist eine weitere Zusammenarbeit zwischen den nach ASiG (Arbeitssicherheitsgesetz)-tätigen Akteuren und denjenigen der innerbetrieblichen Gesundheitsförderung erforderlich.
Um die gegenseitige Akzeptanz zu erhöhen, sollten sich die Akteure auf gemeinsame Kernkonzepte zur Orientierung am tatsächlichen Bedarf und – ganz wichtig – zur Qualitätssicherung der Angebote auf dem Gebiet der Gesundheitsförderung verständigen.
Die öffentliche Aufmerksamkeit für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und der betrieblichen Gesundheitsförderung kann durch gemeinsame Botschaften und übergreifende kohärente Konzepte zum Nutzen aller Akteure und vor allem aller Beschäftigten in den Betrieben erhöht werden. Das gilt verstärkt für eine Zeit, in der sich die Grenzen des Arbeitens im Betrieb und mobil oder zu Hause langsam auflösen. Dabei sollte nach wie vor klar bleiben, von welcher Seite welche Kernkompetenzen zur Prävention beigesteuert werden.
Die Basi möchte mit dem alle zwei Jahre stattfindenden Kongress der A+A dazu einen attraktiven Rahmen bieten, diese Fragen zu diskutieren. Dabei können ganz sicher gangbare Wege einer weiteren Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen klassischer Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und der betrieblichen Gesundheitsförderung gefunden werde.
Die Fragen stellten Dr. Beate Grossmann und Ulrike Meyer-Funke, Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V.
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Dr. Christian Felten | Biochemiker; Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit e.V. (Basi). Zuvor leitete er u.a. das Kompetenzfeld „Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren & Vision Zero“ der Berufsgenossenschaft (BG) Verkehr. Dr. Felten ist Vizepräsident im Vorstand des „Besonderen Ausschusses für Prävention“ der Internationalen Vereinigung für Soziale Sicherheit (IVSS) und der „Internationalen Sektion für Prävention im Transportwesen“.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit e.V. (Basi) - engagiert für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit. 86 Organisationen und Einrichtungen arbeiten zusammen, um Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit zu verbessern. Mit dem A+A Kongress, veranstaltet die Basi eine der wichtigsten Veranstaltungen zu aktuellen Themen rund um Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Deutschland und weltweit. Der A+A Kongress 2021 findet vom 26.-29. Oktober statt.